04.04.2024
Feindesliebe
Andrei Kurkow ist ein ukrainischer Schriftsteller, der auf Russisch schreibt.
2019 erscheint auf Deutsch sein Buch „Graue Bienen“ über den Krieg in der Ostukraine, zwei Jahre bevor dieser Krieg in das Bewusstsein der Öffentlichkeit bei uns kommt.
Kurkow beschreibt in diesem Buch ein Dorf zwischen den Fronten in der Ostukraine.
Alle Bewohnen sind weg bis auf zwei Frührentner.
Ein Ukrainer, Paschka und ein Russe, Sergeij. Sie waren schon in der Schule Kinderfeinde.
Das Dorf hat zwei lange Straßen, eine russische und eine ukrainische Straße.
Dazwischen ein Weg mit nur zwei Häusern.
Drei Jahre dauert der Krieg schon.
Die Geschosse fliegen immer über sie hinweg.
Sie leben von fast nichts, der eine hat Tee, der andere Honig, mal einen Wodka.
Ab und zu reden sie abends doch miteinander. War ja kein anderer da.
Eines Nachts kommt der Russe auf die Idee, dem Ukrainer eine Freude zu machen:
Im Dunkel der Nacht schraubt er alle Straßenschilder der beiden langen Straßen ab und schraubt sie bei der jeweils anderen Straße an. So wird aus der Schewtschenkostraße die Leninstraße und umgekehrt.
Dann geht er zu Paschka, dem Ukrainer.
„Danke für die Leninstraße“, sagt der Ukrainer Paschka zu dem Russen Sergeji, „So ein Geschenk! Ich hatte den Schewtschenko schon bis hier“, und fuhr sich mit dem Finger über die Kehle.
Mitten im Krieg ein Stück fantasievolle Feindesliebe und Menschlichkeit.
Meint
Pfarrerin Renate Höppner aus Magdeburg