06.02.2024
Liedbrücke
Die Arbeit als Seelsorger führt mich in die Seniorenresidenz. „Zu Herrn Kaczinski?“ „Den Gang hinter, links!“, weist mich die Schwester und warnt: „Nicht enttäuscht sein! Da ist nicht mehr so viel da.“ Ich ahne, was sie meint.
Herrn Kaczinski kenne ihn aus der Gemeinde. Eine treue Seele! Um den Sonntagmorgen in seiner Kirche herum organisierte er sich früher seinen Tag. Er kam als erster und fand immer seine Aufgabe: den Kerzenrand abschneiden, Lieder anstecken, besonders gerne Nr. 369, „Wer nur den lieben Gott lässt walten“ – was für ein Lied! Und so eine schöne Zahl: 3 – 6 – 9. Herr Kaczinski …
Ich finde ihn in seinem Zuhause: 15 Quadratmeter und drei Bilder von den Lieben. Er sitzt vor dem Fenster, sein Blick geht ins Leere.
„Sie kommen spät“, sagt er verwirrt und reicht mir den Medikamentenbecher. – „Ich bin’s, der Pfarrer, Herr Kaczinski.“ – „Hat schon jemand die Lieder angesteckt?“, fragt er und ich beruhige ihn: „Ja, ich, gestern schon. Wir müssen jetzt eigentlich nur noch singen.“
So zwitschert er mir nichts, dir nichts los: die Nummer 369. “Wer nur den lieben Gott lässt walten und hoffet auf ihn allezeit, den wird er wunderbar erhalten” Er vorneweg, auswendig. Alle Worte kommen präzise. Ich hinterher. Er strahlt mich an, ganz klar, fokussiert. Die Falten glätten sich. Jetzt ist er da. In wenigen Minuten wird sein Blick wieder wegdriften in eine andere Welt. Für einen Moment sind wir beide ganz beieinander. Ist das nicht stark?!
Wo kein Wort mehr hinkommt, verbindet uns ein Lied.
Dankbar dafür grüßt Sie Conrad Krannich, Seelsorger aus Halle