26.04.2022
„Selig sind die Frieden stiften": Friedensgebet des EKM-Bischofskonvents an der Elbbrücke Torgau
Der Bischofskonvent der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland (EKM) hatte gestern (25. April) zu einem Friedensgebet am sogenannten "Elbe-Day" in Torgau geladen.
Landesbischof Friedrich Kramer sowie die Regionalbischöfin und die Regionalbischöfe der EKM und die Senior des Reformierten Kirchenkreises beteten am alten Brückenpfeiler in der Elbstraße für den Frieden. Begleitet wurde das öffentliche Friedensgebet durch einen Bläserchor.
Am 25. April 1945 trafen US-amerikanische und sowjetische Soldaten auf der zerstörten Elbbrücke bei Torgau zusammen und besiegelten symbolisch das nahe Ende des Zweiten Weltkriegs.
Thema des Friedensgebets war das damalige symbolische Zusammentreffen von amerikanischen und sowjetischen Soldaten. Zugleich blickte der Bischofskonvent aber auch auf die aktuelle Situation: den russischen Angriffskrieg in der Ukraine, die Gewalt und das Leid der Menschen - und drückte seine Hoffnung auf Frieden aus:
"Wir stehen hier an der Elbe. Sie war früher ein Grenzfluss, der Menschen voneinander trennte, der sie hinderte, zueinander zu kommen. Ausgerechnet hier, auf einer zerstörten Brücke, kam es vor 77 Jahren zu einer Begegnung, zu einem Handschlag. Versöhnung zwischen Menschen ist möglich. Begegnung über Grenzen von Nationen, Sprachen, Kulturen, Religionen ist möglich. Frieden ist möglich. Wenn wir erkennen, dass wir trotz aller Unterschiede zusammengehören in dieser Welt. Sie ist uns gemeinsam geschenkt. Wir sind alle Teil der einen großen Menschheitsfamilie."
Das Friedensgebet im Wortlaut finden Sie im Folgenden:
Liebe Schwestern und Brüder,
vor 77 Jahren fand sie statt, die berühmte erste Begegnung an der Elbe. Amerikanische Soldaten auf der einen Seite, sowjetische auf der anderen. Und dann das legendäre Zusammentreffen. Ein Bild mit dem Handschlag wurde zum Symbol für das Ende des Weltkrieges, knapp zwei Wochen vor dem 8. Mai 1945, mit dem der Zweite Weltkrieg dann offiziell mit der Kapitulation Deutschlands endete. Auf diesen Handschlag kann man heute unterschiedlich blicken. Die einen sagen: Dieser Handschlag ist ein Symbol für den Sieg von Verbündeten und die Niederlage des gemeinsamen Gegners. Andere sehen darin ein Symbol der Annäherung zwischen der gegensätzlichen politischen Systemen und, ja, auch ein Hoffnungszeichen für das Schweigen der Waffen.
Das Treffen in Torgau war tatsächlich mehrdeutig. Hier trafen amerikanische und sowjetische Soldaten nach monatelangen Kämpfen aufeinander, die im Krieg gegen das nationalsozialistische Deutschland Verbündete geworden waren und dann in den Jahren nach 1945 zu unversöhnlichen Feinden wurden. Die Begegnung auf der Brücke war kein neuer Anfang, sondern ein öffentliches Zeichen für das Ende des Krieges – von Sieg und Niederlage. Und sie war ein Symbol für das Ende des grausamen, von Deutschland begonnenen und verschuldeten Weltkrieges. Und es war eine Inszenierung: auf der von den Deutschen zerstörten Brücke in Torgau - ein nachgestelltes Ereignis für die Öffentlichkeit. Das erste Zusammentreffen fand weiter südlich nahe der Stadt Strehla statt. Dort allerdings waren die Elbwiesen mit vielen Leichen übersät, Flüchtlinge, die beim Versuch die Elbe zu überqueren „versehentlich“ getötet worden waren. Diese Kulisse war für ein historisches Ereignis ungeeignet. Also stellte man das ganze am 25. April 1945 in Torgau nach.
Einer, der auf amerikanischer Seite als Dolmetscher damals dabei war, war Joseph „Joe“ Polowsky, Sohn jüdischer Auswanderer aus der Ukraine. Der 25. April 1945 hat sein Leben verändert. Er konnte danach nicht einfach zur Tagesordnung übergehen. Er hat sich als amerikanischer Friedensaktivist dafür eingesetzt, die Erinnerung an die Begegnung an der Elbe wachzuhalten und daraus zu lernen. Er forderte, dass der 25. April zum Weltfriedenstag erklärt wird. Damit konnte er sich nicht durchsetzen. Aber er ließ sich auch nicht davon abhalten, dieses einschneidende Erlebnis alljährlich mit einer Mahnwache auf der laten Michigan Avenue Bridge in Chicago zu begehen. Wie ein einsamer Rufer in der Wüste, den man übersieht, nicht ernst nimmt, vielleicht sogar belächeln.
Denn so nachhaltig war jener Moment der Begegnung weltpolitisch gesehen nicht. Schon wenige Jahre später standen sich die Weltmächte in Ost und West im Kalten Krieg gegenüber. Neue Gräben taten sich zwischen ihnen auf, die breiter waren als die Elbe bei Torgau. Und heute sehen wir die schrecklichen Bilder der mit Leichen übersäten Orte , die der brutale Angriff russischer Truppen in der Ukraine in unsere Wohnzimmer , den wir in Europa nicht mehr für möglich gehalten haben. Alte Gräben brechen wieder auf. Grenzen, die überwunden schienen, werden in unseren Köpfen wieder hochgezogen. Wir beginnen wieder in den Kategorien von Freund und Feind zu denken. Wir erleben das Ende der Diplomatie und dass die Armee der Russischen Föderation massivste Gewalt eingesetzt, um eigene politische Ziele durchzusetzen. Und wir fragen, was dagegengesetzt werden kann. Mehr Waffen? Abbruch aller wirtschaftlicher und kulturellen Beziehungen? Oder haben wir noch andere Mittel, die wirken und zum Frieden helfen? Die Bilder der Zerstörung aus Mariupol und vielen anderen Orten, deren Namen viele bisher nicht kannten stehen uns vor Augen. Das Leid der fünf Millionen Menschen, die aus der Ukraine geflohen sind, und das Leid derer, die dort unter Lebensgefahr ausharren und ihr Vaterland verteidigen geht uns unter die Haut. Wir sehnen uns danach, dass der Gewalt Einhalt geboten wird, wir sehnen uns nach Hilfe und Heilung für die Leidtragenden. Wir rufen zu Gott mit Worten aus Psalm 22, mit denen auch Jesus am Kreuz gebetet hat:
Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?
Ich schreie, aber meine Hilfe ist ferne.
Mein Gott, des Tages rufe ich, doch antwortest du nicht,
und des Nachts, doch finde ich keine Ruhe.
Du aber bist heilig,
der du thronst über den Lobgesängen Israels.
Unsere Väter hofften auf dich;
und da sie hofften, halfst du ihnen heraus.
Zu dir schrien sie und wurden errettet,
sie hofften auf dich und wurden nicht zuschanden.
Sei nicht ferne von mir, denn Angst ist nahe;
denn es ist hier kein Helfer.
Aber du, Herr, sei nicht ferne;
meine Stärke, eile, mir zu helfen!
(EG 709)
Lied: EG 382,1-3 (Ich steh vor dir mit leeren Händen, Herr)
Als Jesus am Vorabend seiner Kreuzigung seine Verhaftung und Hinrichtung auf sich zukommen sieht, ist er verzweifelt und voller Angst. Er nimmt er seine Jünger mit in den Garten Gethsemane, um dort zu beten. „Bleibt hier und wacht mit mir“, sagt er ihnen. Ich höre diese Worte als bleibenden Auftrag an uns: Bleibt und wacht und betet. Betet ohne Unterlaß.
Das klingt vielleicht nach wenig, bedeutet aber so viel. Wir bleiben da, an der Seite aller Menschen, die von schwerem Leid getroffen sind. Wir gehen nicht weg und wir sehen nicht weg. Wir sehen hin, mit wachen Augen und mit einem wachen Gewissen. Wir wollen Unrecht und Gewalt beim Namen nennen. Und wir beten, für die Menschen in der Ukraine, dass das sinnlose Töten und Zerstören aufhören möge, dass sie sicher und frei in ihrem Land leben können. Und wir bitten für uns alle, dass Gott dieser Kelch des Leids und des Todes an uns vorübergehen lasse und uns Frieden schenke und Zukunft unseren Kindern.
Lasst uns beten:
Guter Gott,
wir sind erschrocken und erschüttert. Die täglichen Nachrichten aus der Ukraine und die Bilder von Krieg, Zerstörung und furchtbarem menschlichem Leid sind kaum auszuhalten. Wir sorgen uns um die Menschen im Kriegsgebiet. Ihre Ängste können wir nur erahnen. Du kennst ihre Nöte. Schütze ihr Leben und schenke ihnen Zuversicht.
Liedruf: EG 289.2 (Bleibet hier und wachet mit mir)
Wieder Krieg in Europa. Es ist, als ob vieles, was wir in Mitteleuropa für sicher hielten, in sich zusammenbricht. Wir suchen nach etwas, an dem wir uns festhalten können. Du hast uns versprochen: „Berge mögen wohl weichen und Hügel wanken, aber meine Treue wird nicht von dir weichen und mein Friedensbund nicht wanken.“ Lass uns erleben, dass du das wahr machst.
Liedruf: EG 789.2
Wir bitten dich, dass wir als Kirche Christi glaubwürdig für die Opfer von Gewalt und den Frieden eintreten. Hilf uns, öffentlich für die Opfer einzustehen, stärke unseren Glauben: weil du das Leben willst und nicht den Tod; damit wir unsere Hoffnung auf dich setzen und nicht auf Waffen; dass du die Gewaltigen vom Thron stößt und die Niedrigen erhöhst und dass wir deshalb nicht schweigen, wo Menschen erniedrigt, gequält und getötet werden; dass unser Platz an der Seite der Leidenden ist und wir den Auftrag haben, zu heilen, zu helfen und Frieden zu stiften.
Liedruf: EG 789.2
Guter Gott, wir bitten dich: schenke Frieden – in der Ukraine, in Syrien, im Jemen und überall, wo jetzt der Krieg tobt. Schenke uns Friede hier in unserem Land und Frieden in unseren Herzen. Bleib bei uns und bei allen, die sich mit Bitten und Flehen nach dir ausstrecken.
Liedruf: EG 789.2
Vaterunser
Wir stehen hier an der Elbe. Sie war früher ein Grenzfluss, der Menschen voneinander trennte, der sie hinderte, zueinander zu kommen. Ausgerechnet hier, auf einer zerstörten Brücke, kam es vor 77 Jahren zu einer Begegnung, zu einem Handschlag. Versöhnung zwischen Menschen ist möglich. Begegnung über Grenzen von Nationen, Sprachen, Kulturen, Religionen ist möglich. Frieden ist möglich. Wenn wir erkennen, dass wir trotz aller Unterschiede zusammengehören in dieser Welt. Sie ist uns gemeinsam geschenkt. Wir sind alle Teil der einen großen Menschheitsfamilie. Wir sind Schwestern und Brüder, sagen wir in der Kirche. Über Grenzflüsse lassen sich Brücken bauen, die verbinden. Und auch über Brücken, die im Streit abgebrochen wurden, im Krieg zerstört, kann man vorsichtig aufeinander zugehen. So kann es immer wieder sein, wenn wir nicht unserer Angst folgen, sondern unserem Herrn Jesus Christus vertrauen, der gesagt hat: „Selig sind, die da Leid tragen; denn sie sollen getröstet werden.“ Und: „Selig sind die Frieden stiften; denn sie werden Gottes Kinder heißen.“
Dietrich Bonhoeffer war einer, der auf Jesus Christus vertraut hat, auch noch im Gefängnis und angesichts der drohenden Hinrichtung. Er hat das in einem persönlichen Glaubensbekenntnis geschrieben.
Ich glaube,
dass Gott aus allem, auch aus dem Bösesten,
Gutes entstehen lassen kann und will.
Dafür braucht er Menschen,
die sich alle Dinge zum Besten dienen lassen.
Ich glaube,
dass Gott uns in jeder Notlage soviel Widerstandskraft
geben will,
wie wir brauchen.
Aber er gibt sie nicht im voraus,
damit wir uns nicht auf uns selbst,
sondern allein auf ihn verlassen.
In solchem Glauben müsste alle Angst
vor der Zukunft überwunden sein.
Ich glaube,
dass auch unsere Fehler und Irrtümer nicht vergeblich
sind,
und dass es Gott nicht schwerer ist,
mit ihnen fertig zu werden,
als mit unseren vermeintlichen Guttaten.
Ich glaube,
dass Gott kein zeitloses Fatum ist,
sondern dass er auf aufrichtige Gebete
und verantwortliche Taten wartet und antwortet.
Amen.
Laßt uns beten
Vater unser im Himmel …
Lied: EG 421 (Verleih uns Frieden gnädiglich)
Segen
Musik (Bläser)