08.04.2022
Strafanzeige in Deutschland wegen Kriegsverbrechen in der Ukraine
Berlin (epd). Die beiden früheren FDP-Bundesminister, Gerhart Baum und Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, haben gemeinsam beim Generalbundesanwalt in Karlsruhe Strafanzeige gegen 100 Personen wegen des Verdachts auf Kriegsverbrechen in der Ukraine eingereicht.
Die früheren Minister des Inneren und für Justiz hoffen nach eigenen Angaben auf eine Signalwirkung. „Die Täter sollen wissen, dass sie jederzeit außerhalb Russlands festgenommen werden können, nicht nur in Deutschland, sondern in jedem Rechtsstaat“, betonten Baum und Leutheusser-Schnarrenberger am Donnerstag in Berlin in einer gemeinsamen Erklärung: „Sie sollen wissen, dass sie sich vor einem deutschen Gericht verantworten müssen. Und dies nicht nur heute und morgen, sondern Zeit ihres Lebens.“ Die von ihnen begangenen Völkerstraftaten verjährten nie.
Der ehemalige Bundesinnenminister Baum begründete das Vorgehen mit einer Zeitenwende, in der die Weltordnung des Völkerrechts durch eine hoch gerüstete Atommacht massiv in Frage gestellt werde. „Das Recht ist auch eine Waffe in dieser Situation“, sagte er unter Hinweis auf juristische Möglichkeiten Deutschlands, durch Strafverfolgung auf mögliche Täter einzuwirken. Das humanitäre Völkerrecht werde in der Ukraine „mit Füßen getreten“, sagte er unter Hinweis auf Angriffe auf Wohngebiete, Flüchtlingskonvois und Kindergärten. „Die russische Zivilgesellschaft ist erstickt worden wohl in Vorbereitung auf diesen Krieg, damit sich kein Widerstand regt“, beklagte Baum: „Wenn es uns gelingt, einige wenige zur Besinnung zu bringen, würde das einen großen Fortschritt bedeuten.“
Ziel der Strafanzeige sei nicht nur eine nachträgliche strafrechtliche Aufarbeitung, sondern Einfluss auf das Kriegsgeschehen zu nehmen, erklärten Baum und Leutheusser-Schnarrenberger. Jeder, der sich an diesen Verbrechen beteiligt, müsse wissen, dass er sich strafbar macht. „Es geht uns also nicht nur darum, die Täter an der Staatsspitze zur Rechenschaft zu ziehen, sondern um alle Täter.“
Der Kölner Strafverteidiger Nikolaos Gazeas erstellte die Anzeige im Auftrag der beiden Ex-Minister nach eigenem Bekunden aufgrund öffentlich zugänglicher Dokumente des ukrainischen Geheimdienstes, die Namen und Dienstgrade enthielten. Gazeas ist der deutsche Verteidiger des russischen Oppositionspolitikers Alexej Nawalny. Potentielle Täter könnten sich in 192 Ländern der Erde nicht mehr sicher fühlen, sagte Gazeas unter Hinweis auf internationale Haftbefehle. Die 40 Seiten umfassenden Strafanzeige richtet sich demnach nicht nur gegen den russischen Präsidenten Wladimir Putin und die Mitglieder seines Sicherheitsrats sondern auch gegen Militärangehörige.
Eingereicht wurde sie am Mittwoch. Sie stützt sich demnach auf das seit 2002 in Deutschland geltende Völkerstrafgesetzbuch. So könnten bei entsprechendem Verdacht Straftäter für Völkerstraftaten, die sie im Ausland begangen haben, angeklagt und verurteilt werden. „Dazu bedarf es keines deutschen Tatorts, keiner deutschen Täter oder Opfer“, heißt es in der gemeinsamen Erklärung. Bei dringendem Tatverdacht könne ein Haftbefehl erlassen werden, der auch weltweit über Interpol zur Fahndung ausgeschrieben werden kann.