11.07.2019
Akademie-Direktor Sebastian Kranich zu Pflegenotstand, Friedlicher Revolution und Politik
Weimar (G+H) - Der Direktor der Evangelischen Akademie Thüringen in Neudietendorf, Sebastian Kranich, hat diakonische Einrichtungen aufgefordert, bei der Bezahlung von Pflegekräften mit gutem Beispiel voranzugehen. In einem Gespräch mit der in Weimar erscheinenden Mitteldeutschen Kirchenzeitung "Glaube+Heimat" (aktuelle Ausgabe zum 14. Juli) sagte Kranich: "Es ist, glaube ich, auch eine Anfrage an die Diakonie, mehr zu bezahlen. Das hätte eine starke Signalwirkung auf andere Träger, kann ich mir vorstellen."
Ihm sei durchaus bewusst, so der Theologe, dass es auch eine Frage der Refinanzierung sei. Kranich, der als Hilfspfleger zum Ende der DDR Einblick in die Altenpflege bekommen hatte, erinnerte in dem Gespräch mit der Kirchenzeitung an den Pflegenotstand 1989, als Pflegepersonal und Ärzte in den Westen gingen. Der Mangel an Pflegekräften habe heute allerdings andere Ursachen. Die Arbeit sei unterbezahlt, das Personal überlastet und es gebe zu viel Bürokratie, so Kranich.
Der Kirchenhistoriker wandte sich in dem Interview auch gegen einen Schlussstrich unter die DDR-Geschichte. Nach seiner Beobachtung schwele die Geschichte unter dem Deckel. Anlässe, wie das Bußwort der EKM oder die Einladung Gregor Gysis als Festredner anlässlich 30 Jahre Friedliche Revolution, lassen das Thema wieder hochkochen. Kranich hält es für notwendig, dass darüber diskutiert und gestritten werde. Er wünsche sich, dass die Kirche den 30. Jahrestag der Friedlichen Revolution stärker in den Vordergrund rücke. Er erkenne eine Umgewichtung, die er sehr bedauere. Vor zehn Jahren sei das Thema noch von einer großen Kampagne begleitet gewesen, heute laufe es seiner Ansicht nach "unter dem Radar der medialen Aufmerksamkeit".
Kranich, der Anfang 1990 die Ortsgruppe der Grünen-Partei mit gegründet hatte, äußerte sich auch zum Vorwurf, die Kirche sei politisch einseitig. Er räumte im Gespräch mit der Kirchenzeitung ein, dass der Diskursrahmen in der Kirche oftmals zu eng sei. "Da entsteht dann das Gefühl, dass bestimmte Argumente nicht mehr geäußert werden können", so Kranich. Er halte nichts davon, wenn Politiker zu viel predigen und Pfarrer zu viel Politik machten. Auf der anderen Seite glaube er: "Die Kirche kann gar nicht grün genug sein." Er meine das nicht im parteipolitischen Sinn, aber angesichts der Herausforderungen im Zusammenhang mit der drohenden Klimakatastrophe "bleibt uns gar nichts anderes übrig", glaubt der Akademie-Direktor.