14.01.2019
Antisemitismus-Beauftragter Klein: "Antisemitismus ist salonfähiger geworden"
Berlin (epd). Der Antisemitismus-Beauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, sorgt sich um die Situation der Juden in Deutschland. "Antisemitismus ist salonfähiger geworden, und genau das müssen wir wieder drehen", sagte der Beauftragte für jüdisches Leben in Deutschland und den Kampf gegen den Antisemitismus im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd).
"Ich glaube nicht, dass Juden bereits auf gepackten Koffern sitzen, aber einige schauen durchaus nach, wo die Koffer sind", sagte Klein. Das sei vor zehn Jahren nicht so gewesen. Klein beklagte einen Judenhass, der bis in die Mitte der Gesellschaft reicht. "Nach belastbaren, seriösen Umfragen haben 15 bis 20 Prozent der Deutschen einen latenten Antisemitismus", erklärte er. Von allen Herausforderungen sei das vielleicht die größte, "denn dies ist der Bodensatz für Aggressionen, Anfeindungen und Straftaten".
Klein kritisierte, auch in der Kirche gebe es immer mal wieder antisemitische Äußerungen, obwohl die Kirchen als Institution "gute und wegweisende" Beschlüsse gefasst hätten. Er forderte Kirchenleitungen dazu auf, sich auch in Einzelfällen deutlich zu distanzieren, wenn sich in Einzelfällen Pfarrer oder kirchliche Gruppen in problematischer Weise zu Wort meldeten. Der Berliner Landesbischof Markus Dröge habe beispielsweise gesagt: "Antisemitismus ist Gotteslästerung". "Das ist ein deutliches Statement, davon brauchen wir mehr", sagte Klein.
Der Antisemitismus-Beauftragte forderte einen anderen Schulunterricht über die Geschichte der deutschen Juden. Mit der NS-Zeit komme im Geschichtsunterricht überhaupt erstmals Information über jüdisches Leben in Deutschland. "Das ist nicht gut, weil Juden so als Problemgruppe, als Verfolgte wahrgenommen werden", sagte Klein. Die kulturellen Leistungen jüdischer Menschen in Deutschland träten in den Hintergrund. "Das müssen wir ändern", sagte Klein, der seit vergangenem Jahr erster Antisemitismus-Beauftragte der Bundesregierung mit Sitz im Bundesinnenministerium ist. Er wünsche sich bis Ende des Jahres neue Unterrichtsmaterialien, "in denen über das Judentum anders aufgeklärt wird als bislang".
Er plädierte ferner für eine Meldepflicht für Schulen bei antisemitischen Vorfällen. Das sei ein gutes Mittel, sagte Klein: "Lehrer oder Schulleiter, die das thematisieren, werden oft als Nestbeschmutzer beschimpft. Wenn es aber eine Pflicht gibt, ein Lehrer also Disziplinarmaßnahmen befürchten muss, wenn er Vorfälle nicht meldet, ist das anders."
Vor dem Hintergrund vermehrter Angriffe auf Juden in Deutschland und die steigende Sorge vor Antisemitismus beklagte der Antisemitismus-Beauftragte eine "alarmierende Geschichtsvergessenheit". Sie rühre an den Grundfesten der Demokratie des Landes. "Das müssen wir ganz klar als Auftrag verstehen, neue Wege zu finden, um geschichtliches Wissen zu vermitteln", sagte er.
Klein verurteilt Angriff auf Kippa-Träger
Klein verurteilte den Angriff auf einen Kippa-tragenden Juden am Wochenende in Berlin. Es sei beklagenswert, dass Berlin zu Beginn des Jahres 2019 wieder einmal Schauplatz eines antisemitischen Angriffs wurde. Er hoffe, dass es Polizei und Staatsanwaltschaft gelinge, den mutmaßlichen Täter rasch zu ermitteln und vor Gericht zu stellen.
Ein 19-Jähriger mit der traditionellen jüdischen Kopfbedeckung war am Samstagabend am S-Bahnhof Nikolassee im Berliner Bezirk Steglitz-Zehlendorf antisemitisch beleidigt worden. Dabei soll der Unbekannte auf hebräisch "Scheiß Jude" gerufen haben. Anschließend habe der Täter einen Stein geworfen, der den 19-Jährigen aber verfehlte.
Klein begrüßte es, dass der Betroffene den Fall sofort angezeigt und die Polizei darüber informiert hatte. "Es ist wichtig, dass Opfer von antisemitischen Straftaten aktiv werden und sich entweder an die Behörden oder an zivilgesellschaftliche Akteure wie die Berliner Meldestelle RIAS wenden." Die große Dunkelziffer von antisemitischen Straftaten und Vorfällen müsse verringert und die Öffentlichkeit sensibilisiert werden, betonte Klein. "Dann können wir besser über Antisemitismus aufklären und präventive Maßnahmen effektiver entwickeln", ergänzte Klein.
Wie eine Sprecherin der Polizei am Montag auf Nachfrage sagte, gibt es keinen neuen Ermittlungsstand. Der Tatverdächtige hatte sich zur Tatzeit noch vor Eintreffen der alarmierten Polizisten unerkannt entfernt. Der Staatschutz ermittelt wegen des Verdachts der versuchten gefährlichen Körperverletzung und der fremdenfeindlichen Beleidigung.
Der 3-D-Test auf Antisemitismus
Antisemitismus kann sich nicht nur im Hass auf Juden als Religions- oder Volksgruppe ausdrücken, sondern sich auch hinter bestimmter Kritik am Staat Israel verstecken. Für die Unterscheidung, wann die Kritik am demokratischen Staat Israel zulässig oder als antisemitische Zuschreibung zu brandmarken ist, empfiehlt der Antisemitismus-Beauftragte den sogenannten 3-D-Test.
Die drei D stehen dabei für Delegitimierung, Dämonisierung und Doppelstandards. Wird Israel also das Existenzrecht abgesprochen, das Land allein für Schlechtes wie etwa den Nahost-Konflikt verantwortlich gemacht oder mit strengeren Maßstäben gemessen als andere Länder, sollten nach dieser Definition die Alarmglocken schrillen. Entwickelt wurde der Test vom israelischen Politiker und Autor Natan Scharanski.
Auch die Internationale Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) hat in ihrer Antisemitismus-Definition als Israel-Kritik verbrämten Judenhass berücksichtigt. Skepsis ist demnach bei einer Fokussierung auf den Staat geboten, "wenn er als jüdisches Kollektiv wahrgenommen wird".
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