05.07.2019
Bundesweite Demonstrationen für Seenotrettung geplant | Bedford-Strohm: "Eine Politik des Sterben-Lassens werden wir nicht hinnehmen"
Hamburg (epd). Trotz der Freilassung der Sea-Watch-Kapitänin Carola Rackete in Italien wollen am 6. Juli bundesweit zahlreiche Menschen auf die Straße gehen und für eine ungehinderte Seenotrettung im Mittelmeer demonstrieren. In mehr als 60 Städten sind Demonstrationen geplant, wie die Organisation „Seebrücke“ in Hamburg mitteilte.
Mit Racketes Freilassung sei der Anlass für die Protestaktion nicht entfallen. Die Kapitänin der „Sea-Watch 3“ war am 29. Juni festgenommen worden, weil sie das Schiff mit 40 Flüchtlingen an Bord unerlaubt in den Hafen der Insel Lampedusa gesteuert hatte. Eine Richterin in Agrigent hob den Hausarrest am Abend des 2. Juli auf. Die 31-jährige Rackete muss sich aber weiter vor Gericht verantworten, der nächste Gerichtstermin ist für den 9. Juli anberaumt. Im Raum stehen Vorwürfe, dass Rackete illegale Einwanderung begünstigt haben soll. Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, nannte es in der „Zeit“ infam, den Seenotrettern Schleusertätigkeit vorzuwerfen. Er unterstützt das Engagement der Seebrücke:
„Das Sterben im Mittelmeer geht weiter. Nach wie vor wird Seenotrettung kriminalisiert. Nach wie vor gibt es kein europäisches Sofortprogramm zur Rettung und Aufnahme von Geflüchteten. Die europäische Zivilgesellschaft muss jetzt weiter Flagge zeigen. Eine Politik des Sterben-Lassens werden wir nicht hinnehmen. Wir brauchen sichere Wege für Geflüchtete nach Europa und ein Sofortprogramm für Seenotrettung im Mittelmeer. Deutschland und Frankreich müssen jetzt in Führung gehen und eine Koalition der Willigen in der europäischen Staatengemeinschaft bilden. Die Hilfsbereitschaft von Kommunen und Städten in vielen Ländern Europas ist groß. Für das wichtige Engagement der Seebrücke bin ich dankbar.“
Unter www.seebruecke.org findet sich eine Übersicht aller Aktions-Städte. Heinrich Bedford-Strohm wird am 6.7.2019 an einer Demonstration der Seebrücke in Magdeburg teilnehmen.
Seehofer verteidigt Bundesregierung gegen Vorwürfe
Berlin/Frankfurt a.M. (epd). Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) hat im Fall der Sea-Watch-Kapitänin Carola Rackete Kritik an der Bundesregierung zurückgewiesen. Niemand brauche der Regierung vorzuwerfen, dass sie eine inhumane Politik verfolge, sagte Seehofer. "Insgesamt kommen jeden Tag die Menschen von umgerechnet zehn Schiffen nach Deutschland. Wir nehmen übrigens von jedem Schiff der Seenotrettung, das in Italien ankommt, Menschen auf." Unter anderen hatten Grüne und Linke der Bundesregierung eine mangelnde Bereitschaft zur Aufnahme der Flüchtlinge von Bord der "Sea-Watch 3" vorgeworfen.
Seehofer sagte der "Augsburger Allgemeinen" (Donnerstag), der große Skandal an dem Fall sei doch, dass die Europäische Union (EU) in der Flüchtlingspolitik "katastrophal versagt" habe. "Es steht außerfrage, dass Menschen vor dem Ertrinken gerettet werden müssen, das ist eine christliche Pflicht", betonte der CSU-Politiker: "Aber wir können das Problem nicht alleine lösen."
Palermos Bürgermeister Leoluca Orlando warf dem italienischen Innenminister Matteo Salvini in der Wochenzeitung "Die Zeit" einen persönlichen Rachefeldzug gegen zivile Seenotretter vor. "Die Regierung hat sich mit Innenminister Matteo Salvinis Gesetzesverschärfungen eine Maske der Unmenschlichkeit aufgesetzt. Eine Schande für Italien", sagte Orlando. Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, nannte es in der "Zeit" infam, den Seenotrettern Schleusertätigkeit vorzuwerfen.
Sea-Watch-Einsatzleiter Philipp Hahn sagte dem Internetportal "watson.de", die öffentliche Meinung in Italien sei sehr gespalten. "Wir erleben hier sehr viel Unterstützung und Solidarität von Privatpersonen, aber auch von Organisationen", erläuterte er. Der gesamten Crew der "Sea-Watch 3" sei die Ehrenbürgerschaft von Palermo angeboten worden. "Das sind alles Zeichen, dass Italien viele Gesichter hat und nicht nur das von Matteo Salvini", sagte Hahn.
Seehofer sagte, die Entscheidung im Fall Rackete müsse die italienische Justiz treffen. Er selbst habe nicht bei seinem italienischen Kollegen Salvini interveniert. "Ich kenne ihn aus mehreren Begegnungen, aber unsere Wege haben sich getrennt, weil er sich sehr weit nach rechts außen bewegt hat", erklärte Seehofer: "Das ist für mich keine Vertrauensbasis."
Rackete war am Samstag festgesetzt und unter Hausarrest gestellt worden, weil sie das Rettungsschiff "Sea-Watch 3" mit 40 Flüchtlingen an Bord unerlaubt in den Hafen der Insel Lampedusa gesteuert hatte. Eine Richterin auf Sizilien hob den Hausarrest am Dienstag auf. Die 31-jährige Kapitänin muss sich aber weiter vor Gericht verantworten, der nächste Gerichtstermin ist für Dienstag kommender Woche angesetzt.
Berliner Stadtmissionschef befürwortet EKD-Seenotrettung
Berlin (epd). Der Direktor der Berliner Stadtmission, Joachim Lenz, spricht sich für die Entsendung eines kirchlich getragenen Seenotrettungsschiffs auf das Mittelmeer aus. In einem Gastbeitrag für die in Berlin erscheinende Wochenzeitung "die Kirche" (Ausgabe vom 7. Juli) schrieb er, ein Schiff zu schicken, sei "ein Zeichen, dass unsere Gesellschaft die Werte der Humanität nicht aufgibt". Es handle sich um "weit mehr als Symbolpolitik", denn für die Geretteten bedeute ein Schiff Leben.
Die Idee, dass die EKD und ihre Gliedkirchen ein Schiff in das Mittelmeer entsenden sollen, wurde auf dem Evangelischen Kirchentag Mitte Juni in Dortmund öffentlich gemacht. Lenz argumentiert, Menschen müssten selbstverständlich vor dem Tod gerettet werden. In Europa gebe es aber keinen anständigen Umgang mit Flucht und Migration, was zu hundertfachem Ertrinken auf dem Mittelmeer führe.
Auch gegen den Widerstand der "Menschenfeinde" müssen Lenz zufolge gerechtere Haltungen und Strukturen sowie sichere Fluchtwege gefunden werden. Die Entsendung eines Schiffes auf das Mittelmeer sei dabei ein Zeichen der Humanität und mache "Menschen Mut, die sich um Geflüchtete oder andere Menschen in Not kümmern", betonte Lenz. Vor allem aber solle das Schiff Leben retten. Die Kirche habe so die Chance, "unser Miteinander nach ethischen Grundregeln zu gestalten".
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