12.06.2019
Bundesweiter Anne-Frank-Tag am Mittwoch
Berlin/Gütersloh (epd). Rund 40.000 Schülerinnen und Schüler aus 250 Schulen bundesweit werden sich am Mittwoch am diesjährigen Anne-Frank-Tag beteiligen. Das 1945 im KZ Bergen-Belsen umgekommene jüdische Mädchen, das durch seine Tagebücher weltberühmt wurde, wäre am 12. Juni 90 Jahre alt geworden.
Der Aktionstag gegen Antisemitismus, Rassismus und für Demokratie an Schulen stehe deshalb unter dem Motto "Anne Frank 90", kündigte das Berliner Anne-Frank-Zentrum am Dienstag an.
Die teilnehmenden Schulen bekommen von dem Zentrum für den Tag Lernmaterialien zum Leben des jüdischen Mädchens zur Verfügung gestellt. Dazu gehört unter anderem eine großformatige Posterausstellung. Darüber hinaus setzen die Schulen vielfach lokale Aktionen um. So werden von den Schülern Stolperstein-Biografien recherchiert, Diskussionen und Lesungen organisiert oder auch Theaterstücke aufgeführt, wie es heißt.
Der bundesweite Auftakt des Aktionstages findet in Gütersloh mit dem Zeitzeugen Pieter Kohnstam statt. Kohnstam lebte als Kleinkind bis 1942 in direkter Nachbarschaft der Familie Frank in Amsterdam, bevor er mit seiner jüdischen Familie nach Südamerika floh.
Anne Frank starb 1945 im Konzentrationslager Bergen-Belsen im Alter von 15 Jahren. Ihr Tagebuch schrieb sie zwischen 1942 und 1944 in einem Versteck in Amsterdam. In dieser Zeit lebte sie mit ihrer Familie und vier weiteren Personen in einer im Hinterhaus verborgenen Wohnung auf engstem Raum. Am 4. August 1944 wurden sie entdeckt, verhaftet und deportiert. Nur Anne Franks Vater, Otto Frank, überlebte und veröffentlichte 1947 das Tagebuch seiner Tochter.
Anne Frank: Zu kurzes Leben, unsterbliche Worte
Frankfurt a.M. (epd). „Oh ja, ich will nicht umsonst gelebt haben wie die meisten Menschen“, schrieb Anne Frank am 5. April 1944 in ihr Tagebuch. „Ich will den Menschen, die um mich herum leben und mich doch nicht kennen, Freude und Nutzen bringen. Ich will fortleben, auch nach meinem Tod.“ Ein Wunsch, der sich erfüllte: Das Tagebuch wurde zur Weltliteratur und machte Anne Frank unsterblich. Die Briefe an ihre fiktive Freundin Kitty zogen Millionen Leserinnen und Leser weltweit in den Bann, das jüdische Mädchen wurde zu einer Symbolfigur für alle Opfer des Nationalsozialismus.
Rot-weiß-kariertes Tagebuch
Das berühmte rot-weiß-karierte Tagebuch bekam Anne zu ihrem 13. Geburtstag geschenkt. „Ich werde, hoffe ich, dir alles anvertrauen können, wie ich es noch bei niemandem gekonnt habe, und ich hoffe, du wirst mir eine große Stütze sein“, notierte sie. Wenig später taucht das 1929 in Frankfurt am Main geborene Mädchen mit seiner Familie unter und versteckt sich mit einer weiteren Familie in einem Amsterdamer Hinterhaus. Der Massenmord der Nationalsozialisten an den europäischen Juden hatte begonnen.
Zwei Jahre lang führte Anne Frank im Versteck in der Prinsengracht 263 ihr Tagebuch, bis die Familie verraten und gefangengenommen wurde. „Schreiben wurde für sie lebensnotwendig, überlebensnotwendig“, erklärt Übersetzerin Mirjam Pressler in der Gesamtausgabe von Anne Franks Werken. In der Einsamkeit und der spannungsgeladenen Enge des Hinterhauses sei „Kitty“ für Anne zur einzigen Abwechslung und zum Ersatz für Freunde und gesellschaftliche Kontakte geworden.
„Leben in der erzwungenen Isolation“
Der imaginären Freundin vertraute das Mädchen alle Freuden und Leiden an: die erste Liebe, Probleme mit der Mutter, körperliche Veränderungen. „Das Tagebuch von Anne Frank ist die intime Geschichte einer einzigartigen Jugendzeit, und gleichzeitig ist es die Geschichte der Schoah“, schreibt Unesco-Generalsekretärin Audrey Azoulay in einem Vorwort zu einer Sonderausgabe, die zu Anne Franks 90. Geburtstag erschien. Annes Einträge seien „ein brillant geschriebener Bericht über das Leben in der erzwungenen Isolation“.
Der Text hat nach Ansicht von Meron Mendel, Direktor der Bildungsstätte Anne Frank in Frankfurt, bis heute nichts von seiner Kraft verloren. „Anne Frank steht für den Kampf nicht nur gegen Antisemitismus, sondern gegen jede Form der Diskriminierung“, sagt er. „Und das ist heute aktueller denn je in einer Welt, in der Zeitzeugen aussterben und zugleich eine Neue Rechte erstarkt.“ Annes Geschichte zeige, wohin Hass führen könne und dass jede Form der Diskriminierung gleich schlimm sei.
Aggression aus rechten Kreisen bekommt die Bildungsstätte unmittelbar zu spüren: Täglich gehen dort E-Mails von Geschichtsrevisionisten ein, in denen die Echtheit von Anne Franks Tagebuchs bezweifelt wird, wie Mendel erzählt. „Das öffnet Tür und Tor dafür, dass solche Leugnungen stückweise eine Legitimität erhalten“, sagt er. „Das sehe ich mit großer Sorge.“
Die Bildungsstätte versucht, Rassismus und Diskriminierung aktiv entgegenzuwirken – unter anderem mit Workshops und Ausstellungen. „Das Tagebuch der Anne Frank kann ein wunderbarer Türöffner zu der Thematik sein“, sagte Mendel. „Mit der Einzelperson kann sich der Leser – anders als mit sechs Millionen Opfern – identifizieren.“ Auch Annes menschliche Größe erleichtere diese Identifikation: Bis zuletzt habe das Mädchen nicht den Glauben an das Gute im Menschen verloren.
Bis zuletzt den Glauben an das Gute im Menschen nicht verloren
“Ich sehe, wie die Welt allmählich in eine Wildnis verwandelt wird“, schrieb sie noch am 14. Juli 1944 in ihr Tagebuch. „Ich höre den nahenden Donner, der auch uns vernichten wird. Ich kann das Leiden von Millionen spüren. Und dennoch glaube ich, wenn ich zum Himmel blicke, dass alles in Ordnung gehen und auch diese Grausamkeit ein Ende finden wird. Dass wieder Ruhe und Frieden einkehren werden.“
Gut zwei Wochen später endet ihr Tagebuch. Am 4. August wurden die Untergetauchten verhaftet und deportiert. Anne Frank starb im Frühjahr 1945 wenige Wochen vor Kriegsende im Konzentrationslager Bergen-Belsen. Sie wurde nur 15 Jahre alt.
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