10.06.2022
Diakonie und Kirche fordern gleiche Rechte für Geflüchtete mit Behinderungen
Die Diakonie Deutschland und die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) machen auf die Ungleichbehandlung von Geflüchteten mit Behinderungen aufmerksam.
Seit dem 1. Juni 2022 erhalten geflüchtete Menschen aus der Ukraine zwar in Deutschland Zugang zu Sozialleistungen, notwendige Hilfen wegen ihrer Behinderung werden ihnen aber häufig versagt. Die Expertinnen der Diakonie gehen davon aus, dass viele Anträge auf die so genannte Eingliederungshilfe abgelehnt werden. Die Ratsvorsitzende der EKD, Annette Kurschus, und Diakonie-Präsident Ulrich Lilie besuchten am Freitag gemeinsam die v. Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel in Bielefeld. An seinen Standorten hat Bethel bundesweit seit Kriegsausbruch über 350 Menschen mit und ohne Behinderungen aufgenommen. Knapp die Hälfte von ihnen sind Kinder und Jugendliche.
EKD-Ratsvorsitzende Annette Kurschus: „Viele Menschen mit Beeinträchtigungen und gesundheitlichen Problemen sind in der Ukraine verblieben und benötigen dort Hilfe. Mit ihrer Nothilfe leisten die Diakonie Katastrophenhilfe und ihre Partnerorganisationen hier einen wichtigen Dienst. Das Schicksal dieser in besonderer Weise von dem grausamen Angriffskrieg betroffenen Menschen dürfen wir nicht aus dem Blick verlieren.“ Zugleich betonte Kurschus, dass geflüchtete Menschen insgesamt nicht als potenzielle Arbeitskräfte im sozialen Bereich angesehen werden dürften. „Sie sind Menschen in einer Katastrophensituation, die ihrem Herkunftsland verbunden sind – wie flüchtende Menschen aus aller Welt.“
Diakonie-Präsident Ulrich Lilie: „Die Stiftungen Bethel haben die Aufnahme aus eigenen Kräften und mit viel Engagement der Mitarbeitenden gestemmt. Inzwischen sind einige Kinder in der Schule, die Erwachsenen absolvieren Praktika und die Betreuerinnen sind angestellt. Ich erlebe hier echte Integration! Es fehlen aber weiterhin Fachkräfte und Ehrenamtliche. Das Ziel muss sein, dass Flüchtlinge mit Behinderungen nicht lange und mit großem Verwaltungsaufwand auf eine behindertengerechte Unterkunft, Rollstühle und andere medizinische Hilfe warten müssen. Angesichts der brutalen Kriege in der Ukraine und in anderen Teilen der Welt wäre es angemessen, die für Ausländer geltende gesetzliche Einschränkung der Eingliederungshilfe für Flüchtlinge aufzuheben.“
Die Aufnahme größerer Gruppen von Menschen mit Behinderung oder vollständiger Heime samt Betreuungspersonal aus der Ukraine ist bisher in geringerem Umfang erfolgt als erwartet. Ein Grund dafür ist die aufwändige Evakuierung. Außerdem hat sich in den vergangenen Monaten gezeigt, dass es zu wenig Fachpersonal gibt, um die Menschen so zu betreuen, wie es den fachlichen Standards der Eingliederungshilfe entspricht. Für die Menschen mit Behinderung besteht auch ein besonderer Förder- und Unterstützungsbedarf aufgrund der in der Ukraine bisher erfolgten Versorgung. Zudem ist die Vereinbarung der konkreten Refinanzierung der Kosten noch im Abstimmungsverfahren.
Vorstandsvorsitzender der v. Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel Pastor Ulrich Pohl: „Bethel stand flüchtenden Menschen aus der Ukraine sofort nach Kriegsbeginn zur Seite. Viele Kinder, Jugendliche und Erwachsene mit Behinderungen wurden durch die Flucht von ihren Eltern und Angehörigen getrennt. Bis sie zurückkehren können, wird vermutlich viel Zeit vergehen. Solange finden sie in unseren Einrichtungen Schutz und ein neues Zuhause.“
Hintergrund:
Die v. Bodelschwinghschen Stiftungen haben 34 Kinder und Jugendliche aus der Ukraine mit schwerstmehrfachen Behinderungen sowie 73 Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene auf dem Stiftungsgelände in Bielefeld im Alter von sieben bis 42 Jahren aufgenommen. Die v. Bodelschwinghschen Stiftungen sind auch der Ansprechpartner für die Kommune/Stadt Bielefeld, wenn es um die Unterbringung von Menschen mit Beeinträchtigungen geht. Auf dem Gelände in Bielefeld wurden ebenfalls mehrere Familien mit behinderten Angehörigen untergebracht. Inzwischen leben im Haus Mamre und im Haus Ebenezer 109 Geflüchtete aus der Ukraine und 17 Betreuerinnen, die zum Teil ihre Kinder mitgebracht haben. Auf dem Campus in Bielefeld wurden zudem bislang weitere 153 Geflüchtete aufgenommen (Stand 3.6.22), vielfach Mütter mit behinderten Kindern.