06.11.2019
Ein Kreuz aus tausend Bäumen: Zwischen Hessen und Thüringen entsteht ein ungewöhnlicher Erinnerungsort

Von Dirk Löhr (epd) Die Bundesstraße 7 hat fast 90 Jahre auf dem Asphalt. In ihren besten Tagen führte sie von der holländischen Grenze bis nach Dresden. Autobahnbau und Ortsumgehungen veränderten ihren Verlauf. Einige Strecken stuften die Behörden zur Landstraße ab. Doch der größte Einschnitt war der Mauerbau in der DDR 1961.

Der Eiserne Vorhang machte die B 7 zwischen dem hessischen Rittmannshausen und Ifta in Thüringen danach zu zwei Sackgassen. Drei Kilometer liegen zwischen beiden Orten. Bis zum 18. November 1989 waren es Welten. Damals wurde der Grenzzaun auf der B 7 zerschnitten. Es war das zweite Wochenende nach dem Mauerfall.

Auf der Autobahn, die wenige Kilometer südlich bei Eisenach verläuft, ging da schon fast nichts mehr. Der Verkehr staute sich 30 Kilometer weit. Nur wenige hielt es zuhause oder am Arbeitsplatz. Stefan Schwessinger sah damals die Autoschlange von der Wartburg aus. Seine Kirchgemeinde traf sich mit Christen aus der Partnerstadt Marburg. Der Besuch war lange vorbereitet. "Doch jetzt war kein Mensch da, der uns bedient hätte", erinnert sich der Eisenacher.

Es waren Tage der Freude und der Euphorie. Die Zeit verging rasend schnell. Mit der Wahl vom März 1990 entschieden sich die DDR-Bürger für Währungsunion, Wiedervereinigung und die Abwicklung ihrer Republik. Manchem begann zu dämmern, dass die Zukunft nicht nur rosig ausfallen würde.

In Deutschland-West sahen das einige Menschen ähnlich. Die Zerstörung der Umwelt, die Verflechtung der großen Konzerne zur "Deutschland AG" und anderes - an Kritikpunkten mangelte es ihnen nicht. Darunter befanden sich auch Schüler, Freunde und Weggefährten des Künstlers Joseph Beuys. Der hatte seit der "documenta 7" 1982 in Kassel 7.000 Eichen pflanzen lassen. 1987, ein Jahr nach seinem Tod, wurde das Projekt abgeschlossen. Es gilt als die größte Kunstaktion seines Lebens, und mit mehr als vier Millionen D-Mark an Kosten auch als eine der teuersten der Zeit.

Sein Gedanke einer ökologischen Intervention wurde im November 1990 aufgegriffen. Umweltaktivisten um den Thüringer Pfarrer Ralf-Uwe Beck taten sich mit den Künstlern zusammen. Sie pflanzten an der B 7 und am ehemaligen Todesstreifen 140 Eschen, Linden und andere Bäume. Mit dem gedachten Schnittpunkt auf der Straße entstand ein Kreuz aus Bäumen.

Das Vorhaben enthielt von Anfang an auch einen demokratischen Impuls. Bürger aus Ost und West interpretieren die Wiedervereinigung auf ihre Art. Von unten wuchs wieder etwas zusammen. Nicht von ungefähr stand bei der ersten Pflanzaktion 1990 der "Omnibus für Direkte Demokratie" am Straßenrand.

Pfarrer Beck habe das zunächst skeptisch gesehen, erzählt der Beuys-Schüler und Baumkreuz-Aktivist Johannes Stüttgen. Seit den ersten Pflanzungen 1990 kommt er im November immer wieder. Mit Freunden aus Düsseldorf und Kassel, mit Umweltschützern aus der Region und mit Männern und Frauen aus Ifta und Rittmannshausen schaut er, wie es den Linden und Eschen ergeht. Die Bäume werden freigeschnitten und abgestorbene Exemplare - das Eschentriebsterben, eine Pilzkrankheit, hat auch hier zugeschlagen - durch Spitzahorne ersetzt.

Aus dem skeptischen Herrn Beck ist inzwischen der Bundessprecher von "Mehr Demokratie" geworden. Auch Stefan Schwessinger blieb aktiv, er engagiert sich in der kommunalpolitischen Vereinigung der Grünen.

Mehr als 1.000 Bäume wurden schon gepflanzt. Die meisten davon auf Thüringer Seite, wo es weniger bürokratische Hemmnisse gab. "Ich habe an den damaligen Verteidigungsminister Rainer Eppelmann geschrieben, ob wir Teile des Grenzzauns stehenlassen können", blickt Ralf-Uwe Beck zurück. Der frühere Pfarrer und CDU-Politiker habe schnell und schlicht geantwortet: "Macht das". Auch von den Straßenbaubehörden kam viel Unterstützung.

So steht heute eine geschlossene Linden-Allee von Ifta bis Eisenach. Zudem ist das Baumkreuz Ausgangspunkt für Wanderungen auf dem Kolonnenweg des "Grünen Bandes". Selbst wenn einmal der Zaun weggerostet sein werde, zeugten die Bäume von der alten Grenze, schaut Pfarrer Beck in die Zukunft.

Die interessiert auch zwei Koreanerinnen. Die Journalistin Park Ji Eun und ihre Übersetzerin Shin Ji Yoon schauten sich das Baumkreuz genau an. Für sie ist das "Grüne Band" schon heute Vorbild für den Umgang mit der Natur an der Grenze zwischen den beiden Koreas. Vielleicht pflanzen auch sie ein Baumkreuz, wenn zwischen Nord und Süd nicht mehr die Welt zu Ende ist.

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Baumkreuz   Foto: epd bild /Andreas Fischer Gedenktafel Deutsche Teilung   Foto: epd bild/ Andreas Fischer

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