01.07.2019
Empörung über die Festnahme der „Sea-Watch 3“-Kapitänin | EKD-Ratsvorsitzender Heinrich Bedford-Strohm: „Eine Schande für Europa!“
Frankfurt a.M./Rom (epd). Die Festnahme der deutschen „Sea-Watch“-Kapitänin Carola Rackete durch italienische Behörden hat in Deutschland vielfach Empörung ausgelöst.
Die 31-Jährige war am Morgen des 29. Juni in Lampedusa festgenommen worden, unmittelbar nachdem sie das Rettungsschiff „Sea-Watch 3“ mit 40 Flüchtlingen in den Hafen der italienischen Insel gesteuert hatte. Sie hatte dazu keine Genehmigung erhalten. Die Migranten, die mehr als zwei Wochen auf der „Sea-Watch 3“ waren, gingen in Italien an Land, wie lokale Medien berichteten. Inzwischen steht Rackete unter Hausarrest.Der EKD-Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm erklärte in Hannover, dass die „Sea-Watch“-Kapitänin beim Anlegen in Lampedusa festgenommen wurde, mache ihn „traurig und zornig“: „Eine junge Frau wird in einem europäischen Land verhaftet, weil sie Menschenleben gerettet hat und die geretteten Menschen sicher an Land bringen will. Eine Schande für Europa!“
Heiko Maas: „Menschenleben zu retten ist humanitäre Verpflichtung“
Außenminister Heiko Maas (SPD) appellierte per Twitter an die italienische Justiz, die Vorwürfe schnell zu klären. „Menschenleben zu retten ist eine humanitäre Verpflichtung. Seenotrettung darf nicht kriminalisiert werden“, erklärte der Minister am 29. Juni. Auch weitere Politiker von SPD, Grünen und Linken setzten sich für Rackete ein.
Italien hatte das Anlegen des Schiffes nicht genehmigt. Es wurde im Hafen umgehend von Polizei und Zollbehörden beschlagnahmt. Die Kapitänin steht nach Angaben der Organisation „Sea-Watch“ unter Hausarrest, während die Staatsanwaltschaft Ermittlungen aufgenommen hat. Ihr werde Beihilfe zur illegalen Einreise vorgeworfen, sagte ein „Sea-Watch“-Sprecher dem Evangelischen Pressedienst (epd). Nach italienischen Medienberichten droht ihr wegen Verstoßes gegen die Schifffahrtsordnung eine Haftstrafe zwischen drei und zehn Jahren. Laut Auswärtigem Amt wird der Fall durch die Botschaft in Rom konsularisch begleitet.
Der Vater von Rackete sagte dem „RedaktionsNetzwerk Deutschland“, er hoffe auf eine rasche Freilassung seiner Tochter. Sie sei „lustig und guter Dinge“ und „bei einer sehr netten Dame untergebracht, die sich rührend um sie kümmert“, sagte Ekkehart Rackete aus Hambühren (Niedersachsen), nachdem er nach eigenen Angaben am 29. Juni mit seiner Tochter telefoniert hatte.
Fluchtursachen bekämpfen und nicht wegsehen
SPD, Linkspartei und Grüne kritisierten die Festnahme der Aktivistin scharf. Die kommissarische SPD-Vorsitzende Malu Dreyer betonte wie Maas: „Die Lebensretter auf See dürfen nicht kriminalisiert werden.“ Seenotrettung sei eine humanitäre Verpflichtung und kein Verbrechen, sagte sie den Zeitungen der Essener Funke Mediengruppe. Sie sprach sich dafür aus, Fluchtursachen zu bekämpfen und nicht wegzusehen, wenn sich Menschen auf den lebensgefährlichen Weg in einen sicheren Hafen machten.
Grünen-Chef Robert Habeck sagte dem „RedaktionsNetzwerk Deutschland“: „Die Verhaftung von Kapitänin Rackete zeigt die Ruchlosigkeit der italienischen Regierung und offenbart das Dilemma der europäischen Flüchtlingspolitik“. Der eigentliche Skandal seien das Ertrinken im Mittelmeer, die fehlenden legalen Fluchtwege und ein fehlender Verteilmechanismus in Europa. Habeck forderte die Bundesregierung auf sich dafür einzusetzen, „dass die Rettung von Ertrinkenden im staatlichen Auftrag oder staatlich organisiert geschieht“.
Die Linkspartei erklärte sich solidarisch mit Rackete. Sie habe höchst verantwortungsvoll gehandelt, so der Parteivorstand am 29. Juni. Der außenpolitische Sprecher der Fraktion im Bundestag, Stefan Liebich, forderte die Bundesregierung auf, sich für die Freilassung Racketes einzusetzen. Zudem solle sie eine zivile Rettungsmission der EU auf den Weg bringen oder aber eine deutsche starten, sagte Liebich der „Welt“.
Rückkehr nach Libyen hatte „Sea Watch“ ausgeschlossen
Allein die FDP hält die Festnahme der „Sea Watch“-Kapitänin für gerechtfertigt. Carola Rackete sei entgegen dem Verbot in den Hafen gesteuert, sagte Bijan Djir-Sarai, außenpolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, der „Welt“: „Sie wird trotz edler Motive für diese illegale Aktion die Verantwortung übernehmen müssen. Die Rechtsstaatlichkeit ist außerordentlich gefährdet, wenn unter Berufung auf gesinnungsethische Motive Gesetze gebrochen werden.“
Die Besatzung des Rettungsschiffes hatte am 12. Juni insgesamt 53 Flüchtlinge in Seenot vor Libyen gerettet. Einige der Flüchtlinge durften in den vergangenen Tagen als Notfälle an Land gehen. Eine Rückkehr nach Libyen hatte die Organisation Sea-Watch wegen des Bürgerkriegs und der Menschenrechtsverletzungen dort ausgeschlossen.
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