08.10.2024
Gedenken im Zeichen des Krieges | Schuster: Ausnahmezustand darf niemals Normalität werden
Berlin/Hamburg (epd). Mit zahlreichen Veranstaltungen ist am Montag ein Jahr nach dem Hamas-Überfall auf Israel an die Opfer erinnert worden.
In Berlin startete am Brandenburger Tor bereits am frühen Morgen eine Lesung der Namen von 1.170 Ermordeten und 255 Entführten. Das Gedenken begann um 5.29 Uhr, dem Zeitpunkt des Überfalls der Terrororganisation Hamas vom 7. Oktober 2023.
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier versicherte Israel die Solidarität Deutschlands. Zur Verantwortung des „Nie wieder“ nach dem Holocaust gehöre, „an der Seite Israels zu stehen“, wenn dessen Existenz bedroht ist, sagte Steinmeier bei einem interreligiösen Gottesdienst in der Berliner Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) zeigte sich in Hamburg zum ersten Jahrestag des Hamas-Terrors gegen Israel „immer noch erschüttert“. Vor einer Gedenkzeremonie in der Hamburger Synagoge Hohe Weide am Montagabend sagte Scholz, es sei „bedrückend zu wissen“, dass unverändert unzählige Menschen „in Gaza inhaftiert, als Geiseln gehalten werden“. Der Kanzler erneuerte seine Forderung nach einem baldigen Waffenstillstand, der mit der Freilassung der Geiseln verbunden sei.
Mit Blick auf den Nahost-Konflikt warnte Bundespräsident Steinmeier in Berlin „vor einer leichtfertigen Verurteilung Israels“: „Die Toten in Gaza, den Hunger, die Zerstörung hätte es nicht gegeben ohne den Überfall und die Massaker vom 7. Oktober vergangenen Jahres.“
Unter den Gästen in der Kirche waren neben dem israelischen Botschafter Ron Prosor und dem Präsidenten des Zentralrates der Juden, Josef Schuster, unter anderem Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD), Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) und Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner (CDU).
Der Berliner evangelische Bischof Christian Stäblein nannte im Gottesdienst das Töten und Morden der Hamas „unvorstellbar“, „unaussprechlich“ und „seit der Schoa einmalig“. Er verwies auch auf das „Leid der Palästinenser“ und der Menschen im Libanon: „All das Leid ist verantwortet von der Hamas und der Hisbollah“, sagte Stäblein.
Auch Berlins Regierender Bürgermeister Wegner bekräftigte bei einer Gedenkfeier die Solidarität mit den Menschen in Israel. Schuld am Leid der Menschen in Israel und im Gaza-Streifen hätten alleine die Terroristen der Hamas. Jetzt gehe es darum, gegen den Antisemitismus in Deutschland Haltung zeigen. In Berlin wehten die Flaggen vor den Dienstgebäuden des Landes auf Halbmast. Das Brandenburger Tor wurde in den Farben der israelischen Flagge angestrahlt.
Der israelische Botschafter Prosor bezeichnete den ersten Jahrestag des Hamas-Überfalls auf Israel als schweren Tag für sein Land. Es gebe mehr als 100.000 israelische Flüchtlinge im eigenen Land.
Schuster bezeichnete „Aufrufe zu offenen Israel-Hass-Protesten“ rund um den Jahrestag als einen „Tiefpunkt der Menschlichkeit in unserer Gesellschaft“. Wer angesichts des Jahrestags dieses grausamen Anschlages nicht in der Lage sei, wenigstens ein Stück Empathie für Jüdinnen und Juden, für die Menschen Israels, zu empfinden, der werde es nie tun „und der hat ein gewaltiges Problem“, sagte er in Berlin.
Schuster: Ausnahmezustand darf niemals Normalität werden
Berlin (epd). Am Jahrestag des Terrorangriffs der Hamas auf Israel sieht der Zentralrat der Juden in Deutschland die jüdischen Gemeinden in einem anhaltenden Ausnahmezustand. Einer am Montag in Berlin veröffentlichten Befragung zufolge ist das Unsicherheitsgefühl von Jüdinnen und Juden weiter gestiegen. Zentralratspräsident Josef Schuster warnte, der Ausnahmezustand dürfe niemals Normalität werden. Schuster bezeichnete die fehlende Empathie für Jüdinnen und Juden als ein gewaltiges Problem für die gesamte Gesellschaft.
In einer Onlinebefragung des Zentralrats gaben knapp zwei Drittel der Führungskräfte (63 Prozent) negative Auswirkungen des Krieges in Gaza und Israel auf ihre Gemeinden an. Dazu zählen sie die Angst vor Angriffen und weniger Besucher. Zugleich geht den Angaben zufolge die Solidarität der Gesellschaft zurück. Während Ende 2023, bei einer ersten Umfrage unter den Gemeindeleitungen, noch 62 Prozent erklärten, sie erführen Solidarität, waren es bei der aktuellen Befragung von Mitte August bis Mitte September 2024 nur 39 Prozent.
Die Zusammenarbeit mit den Kommunen und örtlichen Behörden wird von den jüdischen Gemeinden hingegen weit überwiegend positiv bewertet. Mit den Sicherheitsbehörden sind die Leitungen zu 93 Prozent zufrieden. Fast jede zweite Gemeinde (42 Prozent) verzeichnete im Verlauf dieses Jahres antisemitische Vorfälle, die den Behörden gemeldet wurden. 82 Prozent der Führungskräfte sagen, es sei unsicherer geworden, als Jude oder Jüdin in Deutschland zu leben. Das sind noch einmal vier Prozent mehr als Ende 2023.
Schuster erläuterte, für die Gemeinden sei die eigentlich beabsichtigte Öffnung nach außen schwierig geworden. Wer nicht Mitglied sei, müsse sich beispielsweise für einen Gottesdienst anmelden. An der Umfrage nahmen 98 von 105 im Zentralrat organisierte Gemeinden teil.
Das Bundesinnenministerium stuft seinerseits die Bedrohungslage als hoch ein. Ein Sprecher sagte in Berlin, seit dem 7. Oktober 2023 hätten sich die antisemitischen Straftaten verdoppelt. Von rund 8.500 politischen Straftaten im Zusammenhang mit dem Nahost-Konflikt seien knapp 3.500 als eindeutig antisemitisch eingestuft.
Der israelische Botschafter Ron Prosor bezeichnete den ersten Jahrestag des Hamas-Überfalls auf Israel als schweren Tag für sein Land. Er betonte im Inforadio des Rundfunks Berlin-Brandenburg (RBB), Zehntausende Israelis seien Flüchtlinge im eigenen Land. „Wir in Israel fühlen uns, als ob wir umzingelt sind von Feinden, die uns eigentlich vernichten wollen“, sagte er.
Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, sagte der „Rheinischen Post“ (Montag), er beobachte eine Verharmlosung von Islamisten in Deutschland. Der deutsche Diskurs habe sich radikalisiert und verhärtet, gerade auch im universitären Milieu.
Am 7. Oktober 2023 überfielen palästinensische Terroristen Israel, töteten etwa 1.200 Menschen und verschleppten mehr als 250 als Geiseln, die teilweise bis heute in der Hand der Hamas sind. Die Terror-Attacke war der Auslöser des Gaza-Kriegs mit mehreren Zehntausend Toten auf palästinensischer Seite, der bis heute anhält.
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