28.01.2022
Gesetzentwurf im Bundestag: Neuer Anlauf für Sterbehilfe-Regelung
Eine Gruppe von Abgeordneten aus nahezu allen Fraktionen im Bundestag startet einen neuen Anlauf zur Regulierung der Hilfe bei der Selbsttötung.
Parlamentarier von SPD, FDP, Grünen, Union und Linken präsentierten am Donnerstag in Berlin einen entsprechenden Entwurf für ein Gesetz.
Mit dem Gesetzentwurf soll sichergestellt werden, dass Menschen, die sich mithilfe von Sterbehilfevereinen das Leben nehmen wollen, diese Entscheidung frei und verantwortlich getroffen haben und nicht aufgrund von äußerem Druck oder einer psychischen Krankheit. Zugleich fordern die Abgeordneten eine Stärkung der Suizidprävention in Deutschland. Ab sofort sammeln sie Unterschriften, um den Gesetzentwurf ins Parlament einbringen zu können. Dafür müssen mindestens fünf Prozent der Abgeordneten unterzeichnen.
Das Bundesverfassungsgericht hatte im Februar 2020 das erst 2015 verabschiedete Verbot der organisierten, sogenannten geschäftsmäßigen Suizidassistenz gekippt, mit dem die Aktivitäten von Sterbehilfevereinen unterbunden werden sollten. Das Gericht sah das Grundrecht auf Selbstbestimmung verletzt. Bei der Suizidassistenz werden einem Sterbewilligen etwa todbringende Medikamente überlassen, aber nicht verabreicht. Dies wäre eine Tötung auf Verlangen, die in Deutschland weiter strafbar ist.
Die Abgeordnetengruppe um die Parlamentarier Benjamin Strasser (FDP), Lars Castellucci (SPD) und Ansgar Heveling (CDU) schlägt nun zwar erneut ein Verbot der geschäftsmäßigen Hilfe zur Selbsttötung im Strafrecht vor. Die Suizidassistenz auch durch Organisationen soll unter bestimmten Bedingungen aber nicht rechtswidrig sein. Diese Regelung wäre damit ähnlich der für den Schwangerschaftsabbruch.
Zu den Bedingungen einer straffreien Sterbehilfe würden dem Entwurf zufolge ein Beratungsgespräch sowie in der Regel zwei Untersuchungen durch einen Psychiater oder eine Psychotherapeutin mit einem Mindestabstand von drei Monaten gehören. Bei der Beratung sollen Menschen, die den Gedanken eines Suizids in sich tragen, über Alternativen und mögliche soziale Folgen ihrer Selbsttötung aufgeklärt werden. Sind zwei Untersuchungstermine etwa aufgrund einer unheilbaren und weit fortgeschrittenen Krankheit nicht zumutbar, soll eine Untersuchung ausreichen.
Castelluci hofft auf einen breiten gesellschaftlichen und parlamentarischen Konsens. "Wir wollen den assistierten Suizid ermöglichen, aber wir wollen ihn nicht fördern", sagte er. Wenn der Zugang dazu leichter wäre, als der Zugang zur palliativen Versorgung oder zu einer Therapie, entstünde eine "gefährliche Schieflage". Deshalb werde begleitend der Antrag zur Stärkung der Suizidprävention vorgelegt. Er fügte hinzu, bis zu 90 Prozent der Suizide oder der versuchten Suizide erfolgten in Ausnahmesituationen, bei einer Erkrankung oder einer akuten Belastung. Es sei eindeutig: In erster Linie bedürfe es der Beratung, Hilfe und Unterstützung.
Grünen-Politikerin Kirsten Kappert-Gonther unterstrich, dass Suizidgedanken in der Regel nicht Ausdruck des Willens zu sterben seien, "sondern Ausdruck davon, eine Pause zu benötigen, einen Wunsch zu verspüren nach einer Zäsur aus einer unerträglich empfundenen Lebenssituation". Die Linken-Abgeordnete Kathrin Vogler stellte klar, dass Angebote eines assistierten Suizids für Kinder und Jugendliche ausgeschlossen seien.
Die Pflegebevollmächtigte der Bundesregierung, Claudia Moll, spricht sich indes grundsätzlich gegen professionelle Hilfe beim Suizid aus. "Ich will nicht Gott spielen", sagte Moll dem Evangelischen Pressedienst (epd). In ihrem Berufsleben habe sie häufig von schwerkranken und erschöpften alten Menschen gehört, dass sie nicht mehr leben wollten und ihre Aufgabe darin gesehen, ihnen menschlich zu begegnen, Mut zu machen und ihr Leiden zu lindern. Moll hat 30 Jahre lang in der Altenpflege und Behindertenhilfe gearbeitet.
EKD-Ratsvorsitzende Kurschus: Assistierter Suizid als letzte Möglichkeit
Für die Möglichkeit einer Suizidassistenz in extremen Ausnahmefällen hat sich die EKD-Ratsvorsitzende Annette Kurschus ausgesprochen. Damit grenzt sie sich von ihrem Vorgänger Heinrich Bedford-Strohm ab.
"Als ultima ratio halte ich solchen Beistand für möglich, als verzweifelten Akt der Fürsorge und Liebe", sagte die Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) der in Düsseldorf erscheinenden "Rheinischen Post". Dies dürfe jedoch "nicht zu einer Regeloption beziehungsweise zu einem deklarierten Recht werden", betonte die Präses der westfälischen Landeskirche. "Bezüglich einer entsprechenden Gesetzgebung bedarf es jedenfalls noch intensiver Diskussionen."
Ihr sei bewusst und sie wisse aus "eigener erschütterter Anschauung", dass es extreme Situationen gebe, in denen das Leben für einen Menschen unerträglich werde und die körperlichen oder seelischen Qualen alles andere überlagerten, sagte Kurschus. Nicht jeder Schmerz könne genommen und nicht jedes qualvolle Leiden gemindert werden. "In solchen Ausnahmefällen maße ich mir kein Urteil an, wenn ein Mensch keinen anderen Ausweg mehr sieht, als das Leben zu beenden und dabei andere um Hilfe zu bitten", erklärte die EKD-Ratsvorsitzende.
Bei der Suizidassistenz werden einem Sterbewilligen etwa todbringende Medikamente überlassen, aber nicht verabreicht. Dies wäre eine Tötung auf Verlangen, die in Deutschland strafbar ist. In der vergangenen Wahlperiode gab es trotz Bemühungen einzelner Bundestagsabgeordneter keine Neuregelung der Suizidassistenz. Diese Woche will eine Gruppe von Parlamentariern aber erneut einen Entwurf vorstellen. Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts entflammte auch in der evangelischen Kirche eine Diskussion über die Suizidassistenz. Diakonie-Präsident Ulrich Lilie stellte das bisherige klare Nein zu dieser Form der Sterbehilfe infrage, Kurschus' Vorgänger Heinrich Bedford-Strohm hielt daran fest.
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