06.02.2019
Gottesdienst in der Herderkirche eröffnet Feierlichkeiten zu 100 Jahre Reichsverfassung | Junkermann: „Ohne Schalom für alle gibt es keine Hoffnung und Zukunft.“
Mit einem ökumenischen Gottesdienst in der Weimarer Herderkirche ist heute an die konstituierende Sitzung der Weimarer Nationalversammlung vor 100 Jahren erinnert worden. Vor prominenten Gästen wie Bundeskanzlerin Angela Merkel, Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sowie Vertreterinnen und Vertretern aus Bundestag, Bundesrat und Bundesverfassungsgericht hielten EKM-Landesbischöfin Ilse Junkermann und der Bischof des Bistums Erfurt, Ulrich Neymeyr, eine gemeinsame Predigt.
Die beiden Geistlichen riefen dazu auf, sich für eine gerechte und friedliche Gesellschaft einzusetzen. Im Mittelpunkt stand, wie schon vor 100 Jahren, das Bibelwort des Propheten Jeremia „Ich gebe euch Hoffnung und Zukunft“ (Jer. 29,11).
Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland habe vieles von der Weimarer Verfassung übernommen, sagte Bischof Neymeyr, nicht nur die Regelungen des Verhältnisses von Staat und Religionsgemeinschaften: „Den Müttern und Vätern der Weimarer Verfassung gilt unser Respekt und unsere Dankbarkeit. Wir sind dankbar, auf diesem Fundament mitzubauen am Schalom unserer Gesellschaft. Und wir suchen das Gespräch mit anderen Religionen und mit Menschen ohne religiöse Bindung.“
Mutige Frauen und Männer hätten vor 100 Jahren die Verfassung einer freiheitlichen Demokratie entworfen, betonte auch Landesbischöfin Junkermann. „Aber die Gegner der Demokratie waren stärker. Sie versprachen einfache und radikale Lösungen. Wie unfassbar grausam und unmenschlich waren die Folgen, als die Nazis die Demokratie aushebelten und ihre Rassen- und Eroberungsideologie zum Staatsziel machten; Schalom für alle verunglimpft und verfemt. Wir denken an die vielen Gequälten, Gefolterten, Ausgebeuteten, Ermordeten. Sie mahnen uns: Seht hin! Mischt Euch ein! Wehrt den Anfängen!“ Es sei beschämend, dass nur eine Minderheit der Christen der Diktatur widerstand. „Umso klarer müssen wir heute an Gottes Willen für diese Welt erinnern: Sein Schalom gilt allen Menschen. Ohne Unterschied. Ohne Schalom für alle gibt es keine Hoffnung und Zukunft.“
Doch der Blick auf unsere heutige Gesellschaft erfülle ihn mit Sorge, so Bischof Ulrich Neymeyr in seinem Predigtteil. Gruppenbezogene Menschenverachtung finde Gehör. Antisemitismus in Worten und Taten nehme zu: „Im Herzen der Demokratie in den Parlamenten wird der Ton aggressiv und polemisch. Der Auftrag zu Schalom stärkt uns Christen in unserem Einsatz für ein freies, gleichberechtigtes, demokratisches Miteinander.“
Hoffnung und Zukunft gewinnen, das fange meist klein an, so die Bischöfin. „Hoffnung wächst und Zukunft öffnet sich: das braucht Menschen, die das Naheliegende tun und sehen, was dem Nächsten dient, auch des anderen Bestes suchen und nicht nur das eigene.“
Henrich Herbst, Superintendent des Evangelisch-Lutherischen Kirchenkreises Weimar, führte durch den ökumenischen Gottesdienst. Für die musikalische Ausgestaltung sorgten die Evangelische Singschule Weimar unter Leitung von KMD Johannes Kleinjung sowie der Erfurter Domorganist Silvius von Kessel.
Nach dem Gottesdienst besuchten die Bundespolitiker Demokratieprojekte von Schülerinnen und Schülern. Am Nachmittag war eine Festveranstaltung im Nationaltheater geplant.