03.05.2021
Historiker: Entführung Luthers auf die Wartburg war eine "Zäsur"
Erfurt/Eisenach (epd). In der Nähe der Burg Altenstein in Thüringen spielte sich vor 500 Jahren ein Krimi ab.
Unbekannte Reiter überfielen am 4. Mai 1521 eine Reisekutsche mit dem Reformator Martin Luther (1483-1546) und verschleppten ihn auf die Wartburg bei Eisenach. Dort kamen die Reiter nach Umwegen durch den Thüringer Wald am Abend gegen elf Uhr mit Luther an. In die von Kurfürst Friedrich dem Weisen angeordnete Geheimaktion war der Reformator eingeweiht. Sie diente seinem Schutz, weil er von der römischen Kirche als Ketzer verurteilt worden war. Dank intensiver Quellenforschung ließen sich unabhängig von den Narrativen späterer Generationen die Geschehnisse vor 500 Jahren rekonstruieren, sagte der Jenaer Kirchenhistorikers Christopher Spehr dem Evangelischen Pressedienst (epd).
Für das Leben des Reformators sei die folgende zehnmonatige Schutzhaft auf der Wartburg, in der er das Neue Testament vom Griechischen ins Deutsche übersetzte, eine Zäsur gewesen, so der Dekan der Theologischen Fakultät der Friedrich-Schiller-Universität: „Der junge, eruptive Luther avancierte zur Autorität und zum Gestalter der Reformation, der überstürztes Handeln ablehnte.“ Zugleich habe die Reformation in dieser Zeit Fahrt aufgenommen. „Sie schritt vom Wort zur Tat“, sagte Spehr.
Auf seine neue Situation auf der Wartburg habe sich der Mönch „äußerlich und innerlich einstellen“ müssen. Er habe eine Stube und Schlafkammer bewohnt und durfte Briefe nur über den Burghauptmann und den kurfürstlichen Sekretär verschicken. Luther sei aber bald wieder aktiv geworden und habe dort insgesamt 17 teils umfangreiche Schriften verfasst.
Sein Hauptwerk bleibe aber die Bibelübersetzung. Bei einem kurzen Aufenthalt im Dezember in Wittenberg hätten ihn seine Freunde dazu ermutigt, erläuterte Spehr. Zwar habe es bereits deutschsprachige Ausgaben gegeben, doch fehlten diesen die sprachliche Prägnanz und Verständlichkeit. Zurück auf der Wartburg übersetzte Luther das Neue Testament in nur elf Wochen. „Das Wort Gottes gelte allen Menschen und sollte daher allen zugänglich sein, war seine Überzeugung“, so der Kirchenhistoriker.
Luther selbst habe an seiner Übersetzung keinen Cent verdient, ihm sei es um die Verbreitung des Evangeliums gegangen. Auch einem anderen Vorurteil mit Bezug zum Wartburgaufenthalt widersprach Spehr: „Es ist nicht richtig, dass Luther vorher ein Revoluzzer und nachher ein Bewahrer war.“ Die Zuschreibungen würden der mehrdimensionalen Realität und dem Zusammenspiel mit seinen Mitstreitern nicht gerecht. Dennoch stellten die zehn Monate mehr als nur eine Episode in seinem Leben dar.
epd-Gespräch: Dirk Löhr
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