06.10.2020
Historiker will kein Trauern, ohne nachzudenken: Jens-Christian Wagner hat Leitung der Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora übernommen
Erfurt (epd). Eine Ausstellung zur Zwangsarbeit im ehemaligen Weimarer Gau-Forum sowie neue Dauerausstellungen auf dem Ettersberg und im Südharz hat der Direktor der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora, Jens Christian Wagner, zu seinem Amtsantritt angekündigt.
Insbesondere die Darstellung des sowjetischen Speziallagers in Buchenwald habe mit 17 Jahren die Mindesthaltbarkeitsgrenze deutlich überschritten, sagte der Historiker am Montag in der Erfurter Staatskanzlei. Wagner ist seit 1. Oktober als Nachfolger von Volkhard Knigge im Amt. Knigge hatte sich bereits im Frühjahr in den Ruhestand verabschiedet.
Wie sein Vorgänger wolle er am Hausverbot für führende AfD-Politiker in den Gedenkstätten festhalten, betonte Wagner. Er sei nicht dafür bekannt, Auseinandersetzungen mit den Rechtspopulisten aus dem Weg zu gehen. Solange sich die Partei nicht von Positionen etwa eines Björn Höckes, AfD-Landeschef in Thüringen, distanziere, werde sich an dem von Knigge verhängten Verbot nichts ändern, stellte der neue Stiftungsdirektor klar. Dabei verwies Wagner unter anderem auf die Forderung Höckes nach einer "erinnerungspolitischen Wende um 180 Grad".
Für Wagner, der zuletzt sechs Jahre die Stiftung niedersächsische Gedenkstätten leitete, ist mit dem Amt auch die Rückkehr an die alte Wirkungsstätte verbunden. Bis 2014 habe er bereits 15 Jahre in der Gedenkstätte Buchenwald "Büro an Büro mit Volkhard Knigge, dem ich sehr viel verdanke", gearbeitet, sagte der gebürtige Göttinger. Ein Hauptanliegen seiner künftigen Arbeit sei es, noch mehr herauszuarbeiten, wie es zum Netzwerk der Konzentrationslager Buchenwald und Mittelbau-Dora sowie ihrer vielen Außenlager kommen konnte: "Beide fielen ja 1937 und 1943 nicht einfach vom Himmel."
Dieser Blick auf den Nationalsozialismus sei auch notwendig, um dem zunehmenden Rechtsruck in Politik und Gesellschaft entgegenzutreten. Ziel der Arbeit der Stiftung müsse es sein, das historische Urteilsvermögen der Gesellschaft zu stärken. Dazu bedarf es aus Sicht Wagners auch einer anderen Erinnerungskultur. Zu oft werde formal "getrauert, ohne nachzudenken", kritisierte der Historiker.
In dieser Haltung wird er auch von Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) bestärkt. Mit Blick auf die Weiterentwicklung der Stiftung sei es zu begrüßen, dass sich Wagner "mit großem Engagement und guten Ideen dafür einsetzt, gerade jungen Menschen einen Zugang zur Auseinandersetzung mit der deutschen Geschichte zu vermitteln", erklärte sie. Staatskanzleichef Benjamin-Immanuel Hoff (Linke), der dem Stiftungsrat vorsteht, bezeichnete den 54-Jährigen, der auch eine Professur für Medien und Öffentlichkeit an der Jenaer Schiller-Universität übernimmt, "als Glück und großen Gewinn" für Thüringen.
Insgesamt starben nach Stiftungsangaben von 1937 bis 1945 mehr als 76.000 Menschen in den beiden KZ. Mehr als 340.000 Menschen wurden auf den Ettersberg bei Weimar und in die unterirdischen Stollen des Südharzes verschleppt.
Vor Ausbruch der Corona-Epidemie kamen jährlich etwa eine halbe Million Menschen nach Buchenwald. Die Stiftung beschäftigt etwa 70 Mitarbeiter, dazu noch um die 50 Honorarkräfte für Führungen. Die Finanzierung von jährlich etwa sieben Millionen Euro stammt zu gleichen Teilen von Land und Bund.
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