07.04.2022
Opferberatungsstelle "ezra" warnt vor Terroranschlägen in Thüringen | Festnahmen bei Razzia gegen rechtsextremistische Kriminelle in Eisenach

Erfurt (epd). Die Thüringer Opferberatungsstelle „ezra“ warnt vor einem Anstieg extremistischer Gewalttaten in Thüringen.

Die Gefahr einer weiteren Eskalation von Rassismus wie zum Beispiel in Form von Terroranschlägen sei extrem groß, sagte Projektkoordinator Franz Zobel anlässlich der Vorstellung der Jahresstatistik der Beratungsstelle am Mittwoch in Erfurt. Die Gründe dafür lägen insbesondere in bestimmten öffentlichen Debatten, wie etwa jene über „echte“ und „unechte“ Geflüchtete, in einem weit verbreiteten Rassismus sowie im hohen Mobilisierungspotential der extremen Rechten.

Die Opferberatungsstelle „ezra“ hat im vergangenen Jahr insgesamt 119 rechte, rassistische und antisemitische Gewaltstraftaten in Thüringen registriert. 2020 hätten dem rechtsextremistischen Spektrum 106 Taten zugerechnet werden können. Von den Angriffen im vergangenen Jahr seien mindestens 177 Menschen direkt betroffen gewesen, darunter auch 27 Kinder. Hinzu komme eine durch verschiedene Studien belegte hohe Dunkelziffer an nicht polizeilich erfassten Vorfällen. „Rassistische Erfahrungen sind in Thüringen Alltag, die nur ungenügend durch bestehende Statistiken erfasst werden“, kritisierte Zobel.

Das häufigste Tatmotiv mit 80 Fällen sei wie im Vorjahr Rassismus geblieben, gefolgt von Angriffen auf politische Gegner und Gegnerinnen. Für das Jahr 2021 seien jedoch erstmals auch Angriffe im Kontext der Corona-Pandemie als rechte Gewalttaten registriert worden. Insgesamt hätten 14 Fälle einen Corona-Bezug gehabt.

In weiteren 13 Fällen hätten weitere Informationen gefehlt, um sie als rechte Gewalt oder Bedrohung einzuordnen. „Wir gehen aber auch in vielen dieser Fälle davon aus, dass hinter den Taten Ideologien wie Verschwörungserzählungen, Antisemitismus oder rechte Bedrohungsmythen stehen“, erklärte Opferberaterin und Soziologin Theresa Lauß.

Regionaler Schwerpunkt der Taten seien wie auch schon 2020 die Städte Erfurt und Jena gewesen. Auffällig sei mit elf Vorkommnissen der Anstieg rechtsextremistischer Gewalt in Weimar, wo sich die Zahl der Fälle im Vergleich zu 2020 fast vervierfacht habe. In der Stadt Eisenach, in der am Mittwoch mehrere Objekte wegen des Verdachts der Bildung einer rechtsextremistischen Terrorgruppe durchsucht wurden, zählte die Beratungsstelle drei Gewaltstraftaten.

„Dass die Anzahl der Angriffe im vergangenen Jahr, unter dem Einfluss der Pandemie und der damit zusammenhängenden Maßnahmen, wieder gestiegen ist, ist äußerst beunruhigend“, sagte die innenpolitische Sprecherin der Grünen-Landtagsfraktion, Madeleine Henfling. Es sei ein Alarmsignal, das von politischer und sicherheitsbehördlicher Seite gehört werden müsse.

„Ezra“ arbeitet in Trägerschaft der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland (EKM). Seit April 2011 unterstützt die Beratungsstelle Menschen, die angegriffen werden, weil Täter und Täterinnen sie einer von ihnen abgelehnten Personengruppe zuordnen. Finanziert wird die Opferberatungsstelle über das Bundesprogramm „Demokratie leben!“ und das Thüringer Landesprogramm für Demokratie, Toleranz und Weltoffenheit.

Vier Festnahmen bei Razzia gegen rechtsextremistische Kriminelle

Berlin/Erfurt (epd). Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hat eine bundesweite Razzia gegen Mitglieder verschiedener Neonazi-Gruppierungen als „harten Schlag gegen die rechtsterroristische Szene“ bezeichnet. Es sei ein großer Erfolg für die Sicherheitsbehörden und den Generalbundesanwalt, sagte sie am Mittwoch in Berlin.

Im Rahmen der Razzia wurden unter anderem vier Personen festgenommen, drei in Eisenach und eine Person in Rotenburg an der Fulda (Hessen). Ausgangspunkt waren laut Bundesanwaltschaft Erkenntnisse des Bundesamtes für Verfassungsschutzes, auf deren Grundlage seit September 2019 gegen Mitglieder der „Atomwaffen Division Deutschland“ (AWDD), einer rechtsextremistischen terroristischen Vereinigung mit Ursprung in den USA, sowie gegen Mitglieder der terroristischen Vereinigung „Sonderkommando 1418“ (SKD 1418) ermittelt worden sei.

Den vier festgenommenen Deutschen werde die Mitgliedschaft in einer rechtsextremistischen kriminellen Vereinigung vorgeworfen, teilte die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe mit. Außerdem sollen sie für gefährliche Körperverletzungen, Angriffe auf Polizisten und Landfriedensbruch verantwortlich sein.

Die Ermittler nahmen zudem weitere 46 Verdächtige ins Visier. Insgesamt wurden seit dem Mittwochmorgen 61 Objekte durchsucht, der Schwerpunkt lag in Thüringen und dort in Eisenach, wo der festgenommene Leon R. eine rechtsextremistische Kampfsportgruppe geleitet haben soll. Er werde als Gründer und Rädelsführer der kriminellen Vereinigung „Knockout 51“ betrachtet, hieß es. Seine Kontakte zu einem anderen Beschuldigten hätten zu Ermittlungen wegen des Verdachts des Verstoßes gegen das Verbot der Vereinigung „Combat 18 Deutschland“ geführt. „Combat 18 Deutschland“ war den Angaben zufolge bereits im September 2020 verboten und aufgelöst worden.

Leon R. und die drei weiteren Festgenommenen hätten „unter dem Deckmantel des gemeinsamen körperlichen Trainings junge, nationalistisch gesinnte Männer“ angelockt, diese mit rechtsextremem Gedankengut indoktriniert und für Straßenkämpfe ausgebildet, hieß es. Die Trainings hätten regelmäßig in den Räumen der Landesgeschäftsstelle der rechtsextremen NPD in Eisenach stattgefunden. Mitglieder von „Knockout 51“ hätten zudem zwischen Ende August 2020 und Ende März 2021 mehrere Protestveranstaltungen gegen Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie besucht.

Die Razzien könnten ein erster Schritt sein, auf die lange bestehende Verbindung zwischen Online-Rechtsterrorismus und militanten Neonazi-Strukturen zu reagieren, sagte der Geschäftsführer der Amadeu Antonio Stiftung, Timo Reinfrank. Die Vernetzung zwischen etablierten Neonazi-Strukturen und einer neuen Generation online radikalisierter Rechtsterroristen müsse umfassend ermittelt und zerschlagen werden.

Auch für Thüringens Innenminister Georg Maier (SPD) machen die Ermittlungsergebnisse nochmal deutlich, wie vernetzt rechtsextremistische Vereinigungen in Deutschland seien und welcher Stellenwert der länderübergreifenden Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden zukomme. Neben den Festnahmen und Durchsuchungen in Thüringen und Hessen wurden Gebäude in insgesamt elf Bundesländern durchsucht.

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