12.02.2021
Rechtswissenschaftler fordern umfassende Sterbehilfe-Regelung
Halle (epd). In der Debatte um eine mögliche Regulierung der Sterbehilfe plädieren Rechtswissenschaftler aus Augsburg, München und Halle für eine gesetzliche Regelung, die über die Frage der Suizidassistenz hinausgeht.
"Wir sollten uns die Zeit nehmen, das ganze Feld der Sterbehilfe regulatorisch abzustecken, anstatt schmalspurig zu fahren, um noch vor der Bundestagswahl eine Regelung hinzubekommen", sagte der Jura-Professor Henning Rosenau von der Universität Halle im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd). Er ist einer von acht Autoren, die kürzlich einen eigenen Vorschlag in Form eines Gesetzentwurfs veröffentlicht haben.
Die Idee dafür reiche zwei Jahre zurück, sagte Rosenau. "Schon damals gab es die Debatte darum, ob der Paragraf 217, das Verbot der geschäftsmäßigen Suizidassistenz, rechtmäßig ist", sagte er. Dabei sei deutlich geworden, "dass es für Beteiligte nicht die Rechtssicherheit gibt, die man eigentlich haben wollte".
Das Verbot der organisierten - sogenannten geschäftsmäßigen - Suizidassistenz wurde vor einem Jahr vom Bundesverfassungsgericht gekippt. Nach Ansicht der Verfassungsrichter schließt das Recht auf selbstbestimmtes Sterben das Recht ein, sich das Leben zu nehmen und dabei die Hilfe Dritter in Anspruch zu nehmen. Damit scheiterte der Versuch der Politik, die Arbeit von Sterbehilfeorganisationen zu unterbinden.
Im Bundestag wird nun über eine mögliche Neuregelung debattiert. Zwei Gruppen von Abgeordneten legten kürzlich Entwürfe vor, die beide im Kern eine Beratung vorsehen sowie eine Änderung des Betäubungsmittelgesetzes, um Ärzten zu erlauben, tödlich wirkende Medikamente zu verschreiben.
Bei der Suizidassistenz werden diese Mittel einem Sterbewilligen überlassen, aber nicht verabreicht. Dies wäre eine Tötung auf Verlangen, sogenannte aktive Sterbehilfe, die in Deutschland verboten ist. Rosenau und die anderen Rechtswissenschaftler plädieren in ihrem liberalen Entwurf allerdings für eine Aufweichung. "Aus rechtswissenschaftlicher Sicht gehört für eine in sich stimmige Regelung die aktive Sterbehilfe dazu", sagte der Medizinrechtler.
Die Frage sei, ob mit den Maßgaben des Bundesverfassungsgerichts zum selbstbestimmten Sterben das Verbot der aktiven Sterbehilfe noch zu rechtfertigen ist. "Wir meinen nein, zumindest nicht für bestimmte, ganz extreme Ausnahmen", erklärte Rosenau und nannte als Beispiel Menschen mit dem sogenannten Locked-in-Syndrom, einer vollständigen Lähmung des Körpers. Nach seinen Worten gibt es zwischen den Wissenschaftlern und Bundestagsabgeordneten erste Kontakte.
Jura-Professor: Bei Sterbehilfe-Regelung nicht "schmalspurig" fahren
epd-Gespräch: Corinna Buschow
Halle (epd). In der Debatte um eine Neuregelung der Sterbehilfe haben acht Rechtswissenschaftler aus Augsburg, München und Halle einen eigenen Gesetzentwurf veröffentlicht. Sie plädieren für eine umfassende Regelung, die über den aktuell diskutierten Aspekt der Suizidassistenz hinausgeht. So fordern sie auch eine Aufweichung der bislang verbotenen Tötung auf Verlangen. Einer der Autoren des Vorschlags ist der Jura-Professor Henning Rosenau von der Universität Halle. Im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd) erklärt er, was die Wissenschaftler dazu bewogen hat, einen Entwurf zu schreiben, und warum auch die aktive Sterbehilfe für ihn kein Tabu ist.
epd: Professor Rosenau, Sie haben gemeinsam mit anderen Rechtswissenschaftlern einen Gesetzentwurf in der Debatte um Regeln für den assistierten Suizid vorgelegt. Was hat Sie dazu bewogen?
Rosenau: Die Idee liegt schon zwei Jahre zurück. Schon damals gab es die Debatte darum, ob der Paragraf 217, das Verbot der geschäftsmäßigen Suizidassistenz, rechtmäßig ist. Dabei wurde deutlich, dass es für Beteiligte nicht die Rechtssicherheit gibt, die man eigentlich haben wollte. Das galt bei Ärzten nicht nur für den assistierten Suizid, sondern teilweise auch für die sogenannte passive Sterbehilfe, also den Behandlungsabbruch. Deswegen war es unser Anliegen, eine umfassende Regelung vorzulegen. Wir sind zugleich der Überzeugung, dass durch eine konsistente Regelung dem Suizid besser präventiv begegnet werden kann. Nur wenn Menschen auch auf Ärzte zugehen mit dem Gedanken, sich das Leben zu nehmen, können Mediziner reagieren, ihre Patienten beraten, vielleicht davon abbringen.
epd: Ihr Entwurf trägt den Titel "Gesetz zur Gewährleistung selbstbestimmten Sterbens und zur Suizidprävention". Es ist eine sehr liberale Regelung der Sterbehilfe, oder?
Rosenau: Ja, so ist es.
epd: Sie gehen sogar so weit, das Verbot der aktiven Sterbehilfe, der Tötung auf Verlangen, aufzuweichen. Warum?
Rosenau: Aus rechtswissenschaftlicher Sicht gehört für eine in sich stimmige Regelung die aktive Sterbehilfe dazu. Die Frage ist, ob mit den Maßgaben des Bundesverfassungsgerichts zum selbstbestimmten Sterben das Verbot der aktiven Sterbehilfe noch zu rechtfertigen ist. Wir meinen nein, zumindest nicht für bestimmte, ganz extreme Ausnahmen.
epd: Welche?
Rosenau: Das Bundesverfassungsgericht sagt, dass man das Sterben nach eigenen Wünschen gestalten können muss und sich dabei auch helfen lassen kann. Eine Beihilfe zum Suizid kommt dabei nicht für jeden infrage, etwa Patienten mit vollständigen Lähmungen wie beim Locked-in-Syndrom.
epd: Gilt die Ausnahme auch, wenn jemand sterben will, aber ausdrücklich nicht den Suizid, sondern die Tötung auf Verlangen will?
Rosenau: Nein, da sind wir vorsichtig. Wenn die Suizidassistenz zumutbar ist, sollte dieser Weg gegangen werden. So ist es in unserem Entwurf vorgesehen.
epd: Dennoch ist es doch ein wesentlicher Unterschied, ob jemand sich selbst oder einen anderen Menschen tötet. Muss da nicht auch das Recht unterscheiden?
Rosenau: Tatsächlich war die Bewertung bislang so, dass nur durch den eigenen Akt - den Suizid - bewiesen ist, dass es jemand ernst meint. Das Verbot der aktiven Tötung ist sozusagen eine Absicherung dafür, dass es selbstbestimmtes Sterben ist. Wir haben aber ein Konzept entwickelt mit Kommissionen, Beratung und Dokumentation, so dass die Selbstbestimmung gewährleistet wäre. Dann lässt sich nach unserer Auffassung das Verbot der Tötung auf Verlangen nicht mehr rechtfertigen.
epd: Kritiker einer liberalen Regelung der Suizidassistenz befürchten ja, dass damit die Tür zur aktiven Sterbehilfe aufgestoßen wird. Sie haben also recht mit ihrer Befürchtung?
Rosenau: In gewisser Weise ja.
epd: Als Wissenschaftler können Sie keinen Gesetzentwurf in den Bundestag einbringen. Sind sie mit Parlamentariern im Gespräch, die sich Ihre Pläne zueigen machen könnten?
Rosenau: Es gibt erste Kontakte. Inhaltliche Gespräche sind verabredet.
epd: Zur Regelung der Suizidassistenz wurden kürzlich bereits zwei Gesetzentwürfe von Bundestagsabgeordneten vorgestellt. Wie bewerten Sie diese?
Rosenau: Beide sind ja auch in eine liberale Richtung gedacht, daher gehen sie in meinen Augen in die richtige Richtung. Wie in unserem Vorschlag wird auch die praktische Seite bedacht, also der Zugang zu Natrium-Pentobarbital durch eine Änderung des Betäubungsmittelgesetzes. Ich hielte es dennoch für zu kurz gesprungen, wenn wir nur den Aspekt der Suizidbeihilfe regeln. Wir sollten uns die Zeit nehmen, das ganze Feld der Sterbehilfe regulatorisch abzustecken, anstatt schmalspurig zu fahren, um noch vor der Bundestagswahl eine Regelung hinzubekommen.
epd: Das heißt, die auch von Ihnen als Argument ins Feld geführte derzeitige Rechtsunsicherheit lässt diese Zeit noch?
Rosenau: Das sehe ich nicht so kritisch. Bei Bestehen des Paragrafen 217 war die Unsicherheit größer als jetzt. Mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das diese Regelung gekippt hat, haben wir den Rechtszustand von 2015 wieder, den wir über hundert Jahre so hatten. Mit diesem Zustand kann man noch eine Weile leben.
epd: Welche Rolle haben Ärzte nach den Vorstellungen Ihres Entwurfs bei der Sterbehilfe?
Rosenau: Sie haben eine wichtige Rolle. Die Ärzte sind diejenigen, die behandeln, Ängste nehmen können und Auswege aufzeigen können in Richtung Palliativversorgung oder Hospiz. Für uns sind sie aber nicht die ausschließliche Stelle. Wir würden auch Sterbehilfeorganisationen nicht per se verteufeln. Sie bräuchten nach unserem Vorschlag aber eine Erlaubnis, müssten eine Zuverlässigkeitsprüfung durchlaufen, Beratung anbieten und dürften keine reißerische Werbung machen. Solche Organisationen könnten Lücken füllen, wenn Ärzte sich nicht zur Suizidassistenz bereiterklären. Denn klar ist auch bei uns, dass kein Arzt dazu gezwungen werden darf.
epd: In der evangelischen Kirche ist eine Debatte über die Frage entbrannt, ob Suizidassistenz auch in diakonischen Einrichtungen möglich sein könnte. Andersherum gefragt: Könnten kirchliche Häuser es überhaupt verbieten?
Rosenau: Eine Einrichtung kann es ausschließen, nachdem das Bundesverfassungsgericht es so formuliert hat, dass niemand zur Suizidbeihilfe verpflichtet werden kann. Die Konsequenz wäre dann, dass die Einrichtung dem Betroffenen die Möglichkeit geben muss, irgendwo anders hinzugehen. Denn festhalten kann sie ihn ja nicht. Die Debatte in der evangelischen Kirche erinnert mich etwas an die Diskussion um den Behandlungsabbruch. Damals haben die Kirchen genauso argumentiert. Sie wollten für ihre Einrichtungen ausschließen, dass Maschinen abgeschaltet werden. Auch das Argument, das dürfe nicht zur normalen Option werden, fiel damals. Das sieht man heute ganz anders. Als evangelischer Christ finde ich es jedenfalls gut, dass die Kirche die Fragen noch einmal aufgreift.
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