10.07.2019
Sea-Watch: Klage gegen Italien soll EU-Flüchtlingspolitik verändern | "Mission Lifeline" plant neuen Rettungseinsatz
Frankfurt a.M. (epd). Die Sea-Watch-Seenotretter wollen auf juristischem Weg die Flüchtlingspolitik der Europäischen Union grundlegend verändern. Dabei setze man auf eine schon im vergangenen Jahr beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) eingereichte Klage gegen Italien, sagte Sophie Scheytt von Sea-Watch dem Evangelischen Pressedienst (epd).
Darin wird Italien vorgeworfen, durch die Zusammenarbeit mit Libyen die Rettung von Geflüchteten im Mittelmeer zu behindern.
Das Verfahren werde Maßstäbe setzen und "ein juristischer Meilenstein" sein. "Es geht darum, die Abschottungspolitik Europas zu hinterfragen und zu Fall zu bringen", sagte Scheytt. Der Europäische Gerichtshof muss zunächst über die Zulässigkeit des Antrags entscheiden.
Die Klage bezieht sich auf das Unglück eines Flüchtlingsbootes vor der libyschen Küste am 6. November 2017. Sea-Watch sei mit einem Schiff als erstes vor Ort gewesen und habe Rettungsmaßnahmen eingeleitet, sagte Scheytt. Die daraufhin erschienene libysche Küstenwache habe in der Folge das Schlauchboot gerammt, in dem sich etwa 130 Personen befunden hätten.
"Viele sind deshalb ins Wasser gefallen oder gesprungen - und wenn das passiert, haben wir in der Regel weniger als fünf Minuten Zeit für die Rettung, da viele einfach erschöpft sind oder nicht schwimmen können", sagte die 28-jährige Juristin Scheytt. Während einige sich auf das Boot von Sea-Watch und das libysche Schiff retten wollten, hätten die Libyer damit angefangen, die "Menschen mit Kartoffeln zu bewerfen und mit Seilen zu schlagen." Laut Scheytt starben letztlich 20 Menschen, 59 wurden von Sea-Watch gerettet, 47 nach Libyen zurückgebracht. Von den Geretteten hätten viele Misshandlungen und Gewalt erlebt.
Die Organisation Sea-Watch wirft den Italienern vor, den Einsatz der libyschen Kräfte maßgeblich unterstützt und koordiniert zu haben: "Libyen hätte ohne italienische und europäische Unterstützung keine sogenannte Küstenwache, die im Mittelmeer agiert", sagte Scheytt. "Die Europäer unterstützen die Libyer finanziell, stellen ihnen Schiffe zur Verfügung und geben ihnen Informationen über den Standort von verunglückten Booten."
17 Überlebende des Unglücks haben Anfang Mai 2018 geklagt, gemeinsam mit vier Menschenrechtsorganisationen und mit Hilfe von Sea-Watch. Das Verfahren soll Italien nun für die Behinderung der Rettungsaktion und die dramatischen Folgen verantwortlich machen. Damit sollen die sogenannten "Pull-Backs" (Zurückdrängungen) in Zukunft verhindert werden: "Anstatt zu helfen, stehen die Europäer daneben und schauen zu, wie Menschen sterben. Das muss aufhören", so Scheytt.
"Mission Lifeline" plant neuen Rettungseinsatz
Leipzig/Dresden (epd). Die Dresdner Flüchtlingshilfsorganisation "Mission Lifeline" bereitet einen neuen Rettungseinsatz im Mittelmeer vor. "Wir haben ein neues Schiff und statten es gerade aus", sagte Sprecher Axel Steier am Dienstag MDR aktuell. Das Schiff sei etwas kleiner als die "Lifeline", die noch immer auf Malta festliegt. Das neue Boot könne aber bis zu 100 Menschen aufnehmen.
Um was für ein Schiff es sich konkret handelt und wo es gerade vorbereitet wird, wollte der Verein laut MDR nicht bekanntgeben. Es müsse damit gerechnet werden, dass die Behörden vor Ort Mission Lifeline behindern würden, sagte Steier zur Begründung.
"Lifeline"-Kapitän Claus-Peter Reisch führte den Angaben zufolge am Dienstag Gespräche im Auswärtigen Amt, um Vereinbarungen zu sogenannten Kontingent-Lösungen zu erreichen. Ziel sei es, unter anderem mit Malta, Luxemburg und Deutschland schon vor Beginn der nächsten Mission feste Vereinbarungen zur Aufnahme von Geretteten zu finden.
Die "Lifeline" hatte im Sommer vergangenen Jahres im Mittelmeer 234 Flüchtlinge an Bord genommen. Erst nach tagelanger Irrfahrt durfte das Schiff in Valletta anlegen und wurde danach von Maltas Behörden beschlagnahmt. "Lifeline"-Kapitän Reisch musste sich in Valletta vor Gericht verantworten und wurde vor einigen Wochen wegen des Vorwurfs der falschen Registrierung des Rettungsschiffes zu einer Geldstrafe von 10.000 Euro verurteilt. Reisch hat Revision gegen das Urteil eingelegt.
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