17.11.2020
Tabubruch - Im ARD-Film "Gott" geht es um selbstbestimmtes Sterben

Frankfurt a.M./Berlin (epd). Als die Zweite Kammer des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe am 20. Februar ihre grundsätzliche Entscheidung zur Aufhebung des Verbots gewerbsmäßiger Sterbehilfe verkündete, brandete spontaner Applaus auf. Was die einen als Sieg der freiheitlichen Selbstbestimmung über das Lebensende feierten, war für andere jedoch unerträglich. 

Ein selbstbestimmter Tod gilt vielen als Kultur- und Tabubruch, Sterben als organisiertes Geschäftsmodell allemal. In einzelnen Fällen unerträglichen Leids stellen sich die ethischen Auffassungen manches Mal freilich anders dar.

Ferdinand von Schirach hat sich dieses Themas angenommen und mit "Gott" ein ähnliches Mitmachlehrstück wie "Terror" auf die Bühne gebracht. Die ARD wiederum bringt den Film nach seinem Theaterstück am Montag (23. November) ins Fernsehen.

Der Film spielt eine fiktive Sitzung des Deutschen Ethikrats durch. Es geht um den exemplarischen Fall eines gesunden, alten, sterbewilligen Mannes. Die Anordnung der Schauspieler-Spielfiguren im Raum ist ähnlich wie bei "Terror", an einer Längsseite des großen Debattierraums sieht man indirekt beleuchtete Bücher.

Im Fernsehfilm, für den Schirach selbst das Drehbuch verfasst hat (Regie: Lars Kraume), geht es über weite Strecken um Information zur Sachlage und um die Klärung des Begriffs "assistierter Suizid". Die Vorsitzende des Ethikrats (gespielt von Barbara Auer) leitet die Anhörung, bei der ein divers zusammengesetztes Publikum vor der Bücherwand Platz nimmt.

Zu Anfang und zu Ende des Films spricht Auer die Zuschauer direkt an. Am individuellen Fall werde man Allgemeines diskutieren, danach könne jeder Zuschauer über folgende Frage abstimmen: Darf ein physisch und psychisch gesunder, lebensmüder Mensch von ärztlicher Seite ein Medikament erhalten, mit dem er sich selbst umbringen kann?

Der Antragsteller, der Witwer Richard Gärtner (Matthias Habich), und sein Anwalt Biegler (Lars Eidinger) sind ebenso geladen wie Frau Dr. Keller (Ina Weisse), Mitarbeiterin des Ethikrats, die die Sachverständigen befragt und zusammen mit Biegler die Schlussplädoyers hält.

Zuvor treten die Spezialisten auf: Frau Professor Litten (Christiane Paul), Staatsrechtlerin und Verfassungsrichterin, referiert die juristische Sachlage. Aufgabe des Staates ist es, größtmögliche Freiheit und Selbstbestimmung des Bürgers zu garantieren. Die Sterbehilfe ist in Europa, aber auch in Kanada und verschiedenen amerikanischen Staaten ganz unterschiedlich geregelt. Dass in Belgien auch Minderjährige assistierten Suizid (nach strengen Vorgaben) bekommen können, führt zu Unruhe im Publikum. Eines macht die Juristin deutlich: Die Regelung ist eine Aufgabe der gesellschaftlichen Willensbildung.

Gärtners Hausärztin Dr. Brandt (Anna Maria Mühe) holt die Grundsätze ins Lebenspraktische hinein. Sie weigert sich aus persönlichem Verständnis, Herrn Gärtner das Mittel, mit dem er seinen Tod selbst herbeiführen könnte, zu überlassen.

Professor Sperling, Mitglied des Präsidiums der Bundesärztekammer (Götz Schubert), präsentiert Argumente, die ausgiebig sein ärztliches Standesbewusstsein ausbreiten. Dass Sperling Schwierigkeiten hat, Patienten als gleichberechtigt selbstbestimmte Individuen zu akzeptieren, wird im "Kreuzverhör" mit Anwalt Biegler überdeutlich. Seine Vorstellung vom Arzt-Patienten-Verhältnis läuft darauf hinaus, dass der Patient seine Autonomie vertrauensvoll an den Arzt abgibt.

Der katholische Bischof Thiel (Ulrich Matthes), Mitglied der Glaubenskongregation, wird von Anwalt Biegler, der nun als historisch-kritischer Bibelexeget auftritt und ein fast hochnotpeinliches Glaubensverhör unternimmt, vollends in die Zange des aufklärerisch-autonomen Menschenbildes genommen. Dramaturgisch ist hier der Höhepunkt gesetzt. Lars Eidinger rückt Ulrich Matthes gleichsam auf den Schoß. Hier ist der Film - wie auch von Schirachs Stück - argumentativ äußerst schwach. Gewissen, Schöpfung, Mitleiden, aufgeklärter Glauben - für "Gott" sind das alles böhmische Dörfer.

Nach dem Stück ist vor der Zuschauerabstimmung, auf die dann eine Runde der Talkshow "Hart aber fair" folgt, während der auch das Ergebnis der Abstimmung verkündet wird.

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Von Heike Hupertz (epd)


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