05.11.2020
Urteil zu Bedingungen für Gen-Untersuchungen bei Embryos | Statement von Regionalbischöfin Friederike Spengler

Leipzig (epd). Das Bundesverwaltungsgericht hat die Bedingungen präzisiert, die für die Erlaubnis einer Untersuchung künstlich befruchteter Embryonen auf Erbkrankheiten vorliegen müssen.           

Die Ethikkommissionen der Länder, die für die Genehmigung der sogenannten Präimplantationsdiagnostik (PID) zuständig sind, müssen künftig in jedem Einzelfall prüfen, ob ein Risiko für eine schwerwiegende Erbkrankheit vorliegt, wie das Gericht am Donnerstag in Leipzig entschied. Dabei haben sie laut Urteil keinen Entscheidungsspielraum. Zudem sind ihre Bescheide gerichtlich voll überprüfbar. Bei der PID werden künstlich befruchtete Embryonen vor der Einpflanzung in den Mutterleib auf Erbkrankheiten untersucht.

Das Gericht änderte damit Urteile des Verwaltungsgerichts München und des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (VGH). Der VGH hatte im März 2019 geurteilt, eine PID dürfe nur durchgeführt werden, wenn eine Erbkrankheit mindestens den Grad der schwereren Muskeldystrophie Duchenne aufweist. Diese Kopplung an eine bestimmte Krankheit erklärte das Bundesverwaltungsgericht für unzulässig.

Stattdessen seien Erbkrankheiten dann als schwerwiegend einzustufen, "wenn sie sich durch eine geringe Lebenserwartung oder Schwere des Krankheitsbildes und schlechte Behandelbarkeit von anderen Erbkrankheiten wesentlich unterscheiden", urteilten die Richter.

Falls die zu erwartende Schwere der Krankheit fraglich ist, müssen die Kommissionen demnach weitere Punkte berücksichtigen, etwa, dass die Eltern bereits ein Kind mit der Krankheit haben, ein Elternteil erkrankt ist oder die Frau nach einer Pränataldiagnostik schon einmal einen Schwangerschaftsabbruch hat vornehmen lassen. All dies müssen die Ethikkommissionen in jedem Einzelfall gesondert entscheiden, betonten die Richter.

Geklagt hatte eine Frau aus Bayern, deren Partner an der Muskelkrankheit Myotone Dystrophie Typ I erkrankt ist und bereits Symptome zeigt. Nachkommen des Paares würden die Erbkrankheit den Angaben nach mit einer Wahrscheinlichkeit von 50 Prozent ebenfalls in sich tragen. Die Bayerische Ethikkommission für PID hatte den Antrag des Paares auf die Untersuchung im März 2016 abgelehnt und darauf verwiesen, es liege kein hohes Risiko für eine schwerwiegende Erbkrankheit vor. Das Verwaltungsgericht München und der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (VGH) wiesen Klagen gegen den Bescheid ab.

Das Bundesverwaltungsgericht hat deren Urteile nun geändert und den Freistaat Bayern verpflichtet, der Frau die PID zu genehmigen. Die Klägerin habe "einen Anspruch auf Erteilung der Zustimmung der Ethikkommission, weil für ihre Nachkommen das hohe Risiko einer schwerwiegenden Erbkrankheit besteht".

Der Bundestag hatte die PID im Jahr 2011 unter der Voraussetzung des "hohen Risikos einer schwerwiegenden Erbkrankheit" bei künstlich befruchteten Embryonen für zulässig erklärt. Über die Genehmigungen sollen Ethikkommissionen entscheiden, denen jeweils vier Ärzte, ein Jurist, ein Ethik-Experte sowie je ein Vertreter von Patienten- und Behinderteninteressen angehören müssen. Zu Jahresbeginn gab es bundesweit fünf solcher Kommissionen. Im Jahr 2018 haben sie nach Angaben der Bundesregierung insgesamt 319 Anträgen zur Durchführung einer PID zugestimmt.

"Unverfügbarkeit und Endlichkeit des Lebens": Statement von Pröpstin Spengler zum PID-Urteil des Bundesverwaltungsgerichts Leipzig

Wer darf einer Frau, einem Mann den Wunsch nach eigenen Kindern absprechen? Keiner. Wer darf einer Frau, einem Mann den Wunsch nach einem gesunden Kind absprechen? Keiner. Dass medizinisch aus diesen absolut nachvollziehbaren Wünschen ein großer Zweig von Forschung und Praxis entstanden ist (sogen. Reproduktionsmedizin), liegt auf der Hand. Kinderwunschzentren haben inzwischen lange Wartezeiten für ihre Rat- und Hilfesuchenden. Ungefähr 110.000 Behandlungen mit sehr unterschiedlichen Techniken künstlicher Befruchtung gibt es derzeit pro Jahr in Deutschland. Tendenz steigend. Ein Teil davon führt zu erfolgreichen Schwangerschaften, und so werden auf diese Weise tausende Kinder geboren, und Frauen und Männer werden zu Müttern und Vätern. Soweit, so gut.

Eine der Methoden der künstlichen Befruchtung - und wohl auch eine der aussichtsreichsten - ist die „In-Vitro-Fertilisation“, bei der die Verschmelzung von Ei und Samenzelle im Reagenzglas „spontan“ geschieht – das schnellste Spermium gewinnt. Seit vielen Jahren wird nun bei dieser Methode eine Untersuchung angewendet, deren Ausgestaltung immer wieder die Gerichte beschäftigt. Mit der „Präimplantationsdiagnostik – PID“ besteht die Möglichkeit, die Embryonen vor der Einpflanzung in den Mutterleib, zu untersuchen. Für diese Untersuchung sind sehr klare und in Deutschland enge Grenzen definiert. Und, das ergibt sich wohl sofort daraus: Genau gegen diese wird immer wieder gestritten.

Was darf untersucht werden und mit welchen Folgen?

Damit es hier nicht zu einer zielgerichteten Auswahl im Sinne einer Selektion kommt, muss diese Untersuchung in Deutschland bei einer Ethikkommission beantragt werden. Diese entscheidet, ob der gestellte Antrag eine Schwere aufweist, die die PID rechtfertigt. Wie aber kann „Schwere“ entschieden werden? Die Ethikkommission kommt mit ihrer Abwägung von Pro- und Contra ihrem Auftrage nach bestem Wissen und Gewissen nach. Natürlich muss sie zu einer Entscheidung kommen. So schwer diese auch für die Antragstellenden ist.

Belastung durch Krankheit, Schwere eines Verlaufes und Umgang mit einem solchen, das alles sind aber Faktoren, die sehr subjektiv wahrgenommen werden. Hier klare Regelungen zu schaffen, ist ein Balanceakt. Auch das heutige Urteil zeigt: Nur Einzelfallentscheidungen sind denkbar. Die Gefahr, bei einer allgemeingültigen Regelung den unübersehbaren Möglichkeiten einer solchen Vorauswahl von Embryonen Tor und Tür zu öffnen (Stichwort „Designerbaby“) ist viel zu groß. Und irgendwann wird das, was jetzt schon technisch möglich ist, doch auch getan. Ob sich dann die verantworten müssen, die Kinder auf die Welt bringen, deren Erbanlagen undurchleuchtet sich einfach so im Leben erst zeigen werden? Dieses Szenario möchte ich nicht denken müssen…

Aber, wer kann denn einer Frau, einem Mann den Wunsch nach einem gesunden Kind absprechen?... Die Frage endet in einem Zirkelschluss. Und weder als Theologin, noch als Mutter kann und will ich Menschen den Wunsch nach Kindern, die ohne die schwere Erkrankung zur Welt kommen, an denen schon Mutter oder Vater leiden, absprechen. Aber als Theologin will ich Fragen stellen, Fragen, die m. E. hinter den Themen und Anträgen, Klagen und Begehrlichkeiten, mit denen wir seit einigen Jahren unterwegs sind, stecken: Der Anfang des Lebens soll so erfolgreich wie möglich definiert werden. Das Sterben soll an die Bedürfnisse des Einzelnen angepasst terminiert und umfassend gesteuert werden. Die Entwicklung von künstlicher Intelligenz eilt mit Riesenschritten voran und wird das, was heute noch als „normales“ Leben gilt, in den Schatten stellen.

Ja, ich lebe sehr gern mit den Segnungen moderner Medizin durch deren Forschung und Technik. Gott Lob sind wir heute in der Lage, dem Leben eine Lebensqualität zu geben, die sich sehen lassen kann. Aber unser Tun hat Folgen.

Im Fall einer Lockerung im Umgang mit der PID ist es die Macht über die Anfänge des Lebens. Im Falle der Beihilfe zum Suizid ist es die Verfügungsgewalt über den eigenen Todeszeitpunkt und dessen Umstände. Viele der individuellen, persönlich-vorgebrachten Fragen brauchen individuelle, persönliche Antworten. Alle flächendeckenden Regelungen halte ich für fatal, weil entgrenzend. Dazu ist Begleitung nötig. Zeit und Fürsorge.

Kirche bietet Begleitung durch individuelle Seelsorge und in Beratungsstellen der Diakonie an, hospizliche Angebote stehen offen. Hier werden Menschen mit ihren Erfahrungen und Wünschen gehört, Fragen formuliert und nach Antworten gesucht. Hier wird begleitet. Menschlich. Nah. Und mit einem gemeinsamen Blick auf das, was über das Fassbare hinausgeht. Sicher, das ist kein Rezept gegen Krankheiten, mit denen Kinder auf die Welt kommen oder Menschen in ihrem Leben konfrontiert werden.  Und auch keine Pille für den schnellen Tod.  Aber es weist auf die Unverfügbarkeit und Endlichkeit des Lebens hin. Auf die Zerbrechlichkeit des Glücks. Auf den Geschenkcharakter von dem, wie wir uns vorfinden. Und auf den Schatz, der darin steckt, nicht alles in der Hand haben zu müssen.

Das Stichwort: Präimplantationsdiagnostik

Berlin/Leipzig (epd). Präimplantationsdiagnostik (PID) bezeichnet die genetische Untersuchung eines Embryos vor seiner Einpflanzung in die Gebärmutter. Das Verfahren ist also nur bei Embryonen möglich, die durch künstliche Befruchtung (In-vitro-Fertilisation) entstanden sind. Bei dem Verfahren wird dem Embryo mindestens eine Zelle entnommen und auf Genmutationen oder Chromosomen-Anomalien untersucht. Nach der Diagnostik wird höchstens ein gesunder Embryo in den Mutterleib eingepflanzt.

Die PID ist in Deutschland nur in Ausnahmefällen erlaubt. Nach einem im Juli 2011 vom Bundestag verabschiedeten Gesetz darf das Verfahren angewandt werden, wenn für die Nachkommen eines Paares "das hohe Risiko einer schwerwiegenden Erbkrankheit" besteht oder eine genetische Schädigung oder eine Abweichung in den Chromosomen dazu führen würde, dass die Schwangerschaft mit einer Fehl- oder Totgeburt endet.

Was genau untersucht wird, hängt von dem betreffenden Elternpaar ab. Es wird kein kompletter Test auf alle genetisch bedingten Erbkrankheiten gemacht. Einen Katalog von Krankheiten, bei denen eine PID zu bewilligen ist, hat der Gesetzgeber nicht aufgestellt. Die Untersuchung ist verboten, wenn etwa nur das Geschlecht des Kindes bestimmt werden soll.

Über die Anträge auf Durchführung einer PID sollen Ethik-Kommissionen an PID-Zentren in jedem Einzelfall entscheiden. Laut PID-Verordnung müssen ihnen jeweils vier Ärzte, ein Jurist, ein Ethik-Experte sowie je ein Vertreter von Patienten- und Behinderteninteressen angehören.

Das Paul-Ehrlich-Institut dokumentiert alle Anträge und Fälle, die Bundesregierung soll alle vier Jahre einen Erfahrungsbericht vorlegen. Laut ihrem letzten Bericht vom Januar gab es vor gut einem Jahr bundesweit fünf solcher Kommissionen. Im Jahr 2018 stimmten die Kommissionen insgesamt 319 Anträgen auf PID zu. Paare, deren Antrag von einer Ethik-Kommission abgelehnt worden ist, können es bei einer anderen wieder versuchen. Allerdings müssen sie den ersten Antrag dabei offenlegen.

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