21.01.2020
Wittenberger "Judensau" vor Gericht | OLG Naumburg muss über Berufungsklage entscheiden - Wenig Erfolgsaussichten für Kläger

Naumburg (epd). Die Berufung gegen ein Urteil zum Verbleib der antisemitischen Schmähplastik an der Wittenberger Stadtkirche wird voraussichtlich wenig Erfolg haben.

Der Vorsitzende Richter des Oberlandesgerichtes Naumburg, Volker Buchloh, erklärte in der Verhandlung am Dienstag in Naumburg, das Gericht beabsichtige, die Berufung zurückzuweisen. Es bestehe kein Zweifel daran, dass das Sandsteinrelief zur Zeit seiner Entstehung dazu diente, Juden verächtlich zu machen. Das Relief allein mit der Darstellung der Sau und der Juden sei eine Herabwürdigung von Juden. Der Richter verwies aber darauf, dass die mehr als 700 Jahre alte "Judensau" in ein Gesamtensemble mit einem Mahnmal eingebunden sei. Damit sei eine Beleidigung objektiv nicht mehr gegeben.

Der Kläger, Michael Düllmann, ist Mitglied einer jüdischen Gemeinde und verlangt indes die Abnahme der Plastik. Aus seiner Sicht könnte die "Judensau" in einem Museum untergebracht und dort entsprechend eingeordnet werden. Er sieht sich durch die Plastik als "Saujude" und das "ganze Judentum" diffamiert. Der gebürtige Sachsen-Anhalter erklärte mit Blick auf die beklagte Evangelische Stadtkirchengemeinde als Eigentümerin der Kirche in der Lutherstadt: "Ich mache Sie dafür verantwortlich." Das vorhandene Mahnmal aus den 1980er Jahren lehnt Düllmann ab. Er hält es für verfälschend: "Schämen Sie sich."

Düllmann sieht "einen gewaltigen Unterschied", ob die "Judensau" an der Stadtkirche verbleibt oder in ein Museum, beispielsweise in das Lutherhaus, wandert. Im Museum hätte die Plastik eine aufklärerische Wirkung, an der Stadtkirche dagegen eine "aufhetzende Wirkung", sagte er und verwies unter anderem auf das Museum Yad Vashem, in dem man aufgeklärt und eben nicht beleidigt werde. Stadtkirchenpfarrer Johannes Block äußerte vor Gericht zunächst Bedauern und erinnerte daran, dass die Stadtkirchengemeinde nicht Auftraggeber der Schmähplastik, sondern nur deren Erbe sei.

Vor mehr als 30 Jahren habe sich die Gemeinde bereits für die Errichtung des Mahnmals vor der Stadtkirche entschieden, so Block. Die Memorialgeschichte sei aber noch nicht abgeschlossen. Es sei angedacht, die "Stätte der Mahnung" weiterzuentwickeln und mehr Schritte in Richtung Versöhnung zu gehen, betonte er. "Wir wollen mit dem Originalstück an die Geschichte erinnern. Für diesen Weg haben wir uns entschieden." Zu Düllmann gerichtet sagte Block: "Wir wollen eigentlich das Gleiche." Seine Gefühle und Aggression könne er nachvollziehen, ergänzte er.

Das Urteil wird am 4. Februar um 15 Uhr im Oberlandesgericht Naumburg verkündet. Sollte die Berufungsklage abgewiesen werden, könnte der Kläger noch Revision beim Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe einlegen, so das Gericht die Revision zulässt. Der Richter deutete am Dienstag bereits an, dass der BGH darüber entscheiden könnte, da es nicht nur einen Fall an der Wittenberger Stadtkirche, sondern noch an vielen anderen Kirchen, unter anderem am Erfurter Dom und am Magdeburger Dom, solche Schmähplastiken gebe.

Das Landgericht Dessau-Roßlau hatte am 24. Mai 2019 die Klage abgewiesen, weil es den Tatbestand der Beleidigung nicht als erfüllt ansah.

Beauftragter Klein: "Judensau" hat unselige Kirchentradition

Berlin (epd). Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, hat seine Forderung nach einem anderen Umgang mit dem Schmährelief "Judensau" an der Fassade der Stadtkirche Wittenberg bekräftigt. "Ich selber bin der Auffassung, dass die 'Judensau' ins Museum gehört, dass sie abgenommen gehört", sagte Klein am Dienstag in Berlin. Das Relief stehe für eine "unselige Tradition der evangelischen Kirche". Die Gemeinde müsse einen Dialog und Prozess über den Umgang mit der "Judensau" einleiten.

Das Sandsteinrelief in etwa vier Metern Höhe an der Fassade ist als Schmähplastik gegen Angehörige des jüdischen Glaubens erkenntlich. Mit Renovierungsarbeiten an der Kirche im Jahr 1983 entschloss sich die Gemeinde, das Relief an seinem Ort zu belassen. Seit 1988 gibt es unterhalb der Plastik ein Mahnmal.

Die Abnahme des Reliefs "wäre ein sichtbarer und guter Beitrag zur Überwindung des Antisemitismus, der ja vielfach auf religiös begründeten Antijudaismus beruht", sagte Klein. Das Wort "Judensau" sei schon "daneben". "Es ist eine Christensauerei, die da passiert ist", sagte er. Der Beauftragte der Bundesregierung für jüdisches Leben und den Kampf gegen Antisemitismus sprach sich zudem für eine größere Informationstafel am Ort aus und dass das Relief im Museum gezeigt wird, "aber kontextualisiert".

Vor dem Oberlandesgericht Naumburg sollte am Dienstag der Prozess um die Entfernung der Schmähplastik verhandelt werden. Aus Sicht des jüdischen Klägers erfüllt sie den Tatbestand der Beleidigung und muss abgenommen werden. In der Vorinstanz hatte das Landgericht Dessau-Roßlau im Mai 2019 die Klage abgewiesen.

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