05.02.2024
"Wir müssen uns mühen um die Abgehängten und um die Verdrossenen" | Rede von Max von Trott bei der Demo in Eisenach am 3. Februar 2024

Wer hat die Macht in unserem Land? Es ist der Mensch, der alleine mit seinem Kugelschreiber in der Wahlkabine sitzt.

Geheim und frei. Niemand schaut zu, wohin er sein Kreuzchen setzt. In diesem emotionalen Moment zeigt sich, welche Ängste und Hoffnungen ihn bewegt haben, von wem er sich verstanden fühlt. Es ist auch eine Gelegenheit, jemandem etwas heimzuzahlen. Immer mehr wählen diesen Weg.

Wie können wir diesen Menschen mit unserer Botschaft erreichen? Heute vergewissern wir uns gegenseitig, dass wir nicht allein sind. Unsere Sichtbarkeit gibt den verfassungstreuen Politikern Sicherheit, damit sie nicht hilflos zu populistischen Methoden greifen. Aber leider erreichen wir nur viel zu wenige der anonymen Herrscher in der Wahlkabine.

Ja, wir müssen Brandmauern errichten gegen rechtsextremistische Politiker. Aber wir dürfen in der Gesellschaft keine Staumauern errichten, die Wechselwählern die Rückkehr zur Mitte verwehren. Aggression gegen Rechts erzeugt mehr Aggression bei Rechten. Der Ärger wird kollektiviert und erzeugt im wachsenden Gruppengefühl eine wohlige Lust an der Eskalation. Die Aussicht auf eine Katastrophe am Ende dieses Weges ist noch fern. Aber aus Mangel an Geschichtskenntnis nehmen zu viele sie in Kauf. Der Kipppunkt, an dem ein Abgleiten in die Katastrophe nicht mehr aufzuhalten ist, kommt unbemerkt und früher als man denkt. Eine gewonnene Wahl kann schon ausreichen.

Die Populisten haben die Angst zur mächtigen Verbündeten gewählt. Sie schüren sie in den Netzwerken mit Videos und Texten, die etliche in regelrechte Abhängigkeiten geführt haben. Diesen Weg dürfen wir nicht gehen, wir dürfen niemals Verrat an der Wahrheit begehen. Wir brauchen andere Verbündete. Es ist ein Menschheitsgesetz, dass man andere Menschen zum Vertrauen nur mit Vertrauen locken kann. Dass Offenheit öffnet. Dass Freundlichkeit Freude weckt. Dass Menschen nur zuhören und sich anvertrauen, wenn sie sich geschätzt fühlen.

Wir müssen also unbedingt unterscheiden zwischen den Menschen und dem, was sie sagen oder tun. Wir wollen rufen: „Nie wieder Nationalsozialismus!“, aber nicht „Nazis raus!“. Wie soll das auch gehen? Immerhin möchte jeder dritte Mensch in Thüringen eine gesichert rechtsextremistische Partei wählen. Mit solchen Vorsätzen brauchen wir uns nicht um den harten Kern der Rechten mühen, das wäre sinnlos. Aber mühen wir uns um die Abgehängten und um die Verdrossenen.

Unsere Gesellschaft ist voller Widersprüche. Durch immer kompliziertere Gesetze wollen wir die Balance halten, doch die Menschen kommen nicht mehr hinterher. Es ist alles so undurchschaubar geworden. Tatsächlich gibt es nur eine Kraft, die eine Gesellschaft dauerhaft zusammenhalten kann. Eine Kraft, die uns langsam entgleitet. Die Liebe zwischen den Menschen ist die einzige Kraft, die Widersprüche überbrücken kann. Allein, dieses Wort ist uns schon so fremd geworden, dass wir es in diesem Zusammenhang nicht einmal mehr aussprechen. Als wäre das was für Weichlinge.

Dabei ist dieser Weg der schwerste, denn er fordert Selbstüberwindung, alle anderen Wege fordern die Überwindung des Gegners. Er gebietet auch, dass wir bei Gewalt in Wort und Tat sofort mutig eingreifen. Aber viel öfter sind wir gefordert, unseren guten Ruf, unsere eigenen Meinungen oder unseren Stolz zu überwinden und anzuerkennen, dass die Würde eines jeden Menschen unantastbar ist, auch die Würde desjenigen, den wir gerade mit den anderen in eine dunkle Schublade stecken wollen. Wir können doch nicht auf ein Drittel unserer Gesellschaft verzichten!

Öffnen wir uns den Menschen und erklären bei Gelegenheit, dass ihre Protestwahl auch uns Angst macht. Dass ihre verständliche Sehnsucht nach einfachen politischen Lösungen die komplizierte Lage noch komplizierter machen wird und nicht einfacher. Üben wir uns nicht nur in Klare-Kante-zeigen sondern auch in Selbstüberwindung und Offenheit. Warum sonst sollte sich jemand von den extremistischen Rändern zurück in die Mitte der Gesellschaft bewegen? Nur so erreichen wir das Herz des unbekannten Menschen in der Wahlkabine, von dem unser aller Glück so sehr abhängt. Vielen Dank

Max von Trott ist Mitglied des Eisenacher Bündnisses gegen Rechtsextremismus und aktives Mitglied der Eisenacher Kirchengemeinde.


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