09.10.2022
Predigt am 17. So. n. Trini. – 9.10.2022, Dom zu Magdeburg, Jesaja 49,1-6, Regionalbischöfin Dr. Friederike Spengler

Gnade sei mit euch und Friede von Gott unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus.

1 Hört mir zu, ihr Inseln, und ihr Völker in der Ferne, merkt auf! Der HERR hat mich berufen von Mutterleibe an; er hat meines Namens gedacht, als ich noch im Schoß der Mutter war.

Wer spricht hier? Einer aus dem Volk Israel. Einer unter den Namenlosen im Exil. Sie sitzen alle an den Flüssen Babylons und weinen. Was für schlimme Zeiten: Das wunderschöne, heißgeliebte Jerusalem in Schutt und Asche. Ihre Stadt! Die Bilder in den Köpfen lassen sich nicht vertreiben: Mauerreste des Tempels, brennende Häuser, verwüstete Felder, gefällte Olivenbäume. „Es ist eine staatliche Katastrophe, eine menschliche Tragödie. Es ist der Verlust des Grundes. Alles, was bisher getragen hat, trägt nicht mehr. (…) Die Gewissheit des Glaubens ist vernichtet. Nicht Gottes Nähe, seine Abwesenheit wird ertragen, erfahren, erlitten.“
Wo bist Du, Gott?
Wo finden wir Dich?

Liebe Gemeinde,
Schwester, Bruder, fragst Du auch: Wo bist Du, Gott?

Dann höre auf die Worte aus dem Buch Jesaja im 49. Kapitel:

1 Hört mir zu, ihr Inseln, und ihr Völker in der Ferne, merkt auf! Der HERR hat mich berufen von Mutterleibe an; er hat meines Namens gedacht, als ich noch im Schoß der Mutter war.
2 Er hat meinen Mund wie ein scharfes Schwert gemacht, mit dem Schatten seiner Hand hat er mich bedeckt. Er hat mich zum spitzen Pfeil gemacht und mich in seinem Köcher verwahrt.
3 Und er sprach zu mir: Du bist mein Knecht, Israel, durch den ich mich verherrlichen will.
4 Ich aber dachte, ich arbeitete vergeblich und verzehrte meine Kraft umsonst und unnütz. – Doch mein Recht ist bei dem HERRN und mein Lohn bei meinem Gott.
5 Und nun spricht der HERR, der mich von Mutterleib an zu seinem Knecht bereitet hat, dass ich Jakob zu ihm zurückbringen soll und Israel zu ihm gesammelt werde – und ich bin vor dem HERRN wert geachtet und mein Gott ist meine Stärke –,
6 er spricht: Es ist zu wenig, dass du mein Knecht bist, die Stämme Jakobs aufzurichten und die Zerstreuten Israels wiederzubringen, sondern ich habe dich auch zum Licht der Völker gemacht, dass mein Heil reiche bis an die Enden der Erde.

Gott macht den Anfang.
Er spricht dich an.
Von Mutterleib an.
Schon, als dich noch keiner sah.
Als es vielleicht nicht einmal deine Mutter ahnte, sprach er schon zu dir.  
Die Rabbiner erzählen, dass die Kinder vor der Geburt bereits von Gott unterrichtet werden. Sie lernen alles, was sie von IHM wissen müssen. Und dann, auf dem Geburtsweg, kommt ein Engel, gibt ihnen einen Klaps auf den Mund und lässt sie alles vergessen. Deshalb schreien es auch bei der Geburt, sagen die Rabbinen.

Gott macht den Anfang. Aller Anfang. Von Mutterleib an kennt er dich. Noch ehe man sich geeinigt hat, welchen Namen du tragen und wo du auf die Welt kommen sollst, hat Gott dich schon bei deinem Namen gerufen.
Ja noch mehr: Er hat dich berufen. Es gibt bei Gott keinen Menschen ohne Berufung. Kein Leben ohne Auftrag unter Gottes weitem Himmel.

2 Er hat meinen Mund wie ein scharfes Schwert gemacht.

Ein scharfes Schwert, meine Zunge. Das kenne ich. Du auch? Dass die Zunge schneller war, als das Hirn? Und dann sind sie ausgesprochen, die Worte, die man nicht zurückholen kann. Worte, die verletzen. „Hätte ich doch erst nachgedacht! Hätte ich doch bloß nicht einfach losgesprochen.
Jetzt kann ich nur noch um Verzeihung bitten und hoffen…“ Das falsche Wort zur falschen Zeit. Falsche Zungen, Doppelzüngigkeit, verletzende Worte, das ist der Alltag. Dazu fordert uns Gott nicht auf.

2 Er hat meinen Mund wie ein scharfes Schwert gemacht. Vielmehr so, wie im Psalm: „Aus dem Mund der Säuglinge und Kleinkinder hast du eine Macht zugerichtet um deiner Feinde willen“. (Ps 8) Und so, wie in der Epistel gehört: „denn wenn du mit deinem Munde bekennst, dass Jesus der Herr ist, und glaubst in deinem Herzen, dass ihn Gott von den Toten auferweckt hat, so wirst du gerettet‘ (Röm 10,9) Dazu ist dein Mund berufen. Dein scharfer Schwertmund soll bekennen, was deine Hoffnung, was dein Glaube ist. Du sollst anderen davon zu erzählen, was dir hilft, dich stärkt. Von der Taufe zum Beispiel: „Ich vertraue unser Kind Gott an. Er hat es doch geschaffen, er hat es uns geschenkt. Wie sollte er es nicht gut mit ihm meinen?“ Von der Musik im Dom zum Beispiel: „Die hat mich berührt, mir so gut getan. Das ganze aufgeregte Fragen in mir ist zur Ruhe gekommen.“ Von der Gemeinschaft zum Beispiel: „Ich bin nicht allein, bin ein Teil des Ganzen, hineingenommen in die große Geschichte Gottes mit seinen Menschen.“  Dein scharfer Schwertmund ist berufen, zu bekennen. Dein scharfer Schwertmund ist berufen, Gott und den Mitmenschen Gutes zu sagen.

 Das wünsche ich mir für euch, liebe Gemeinde, dass ihr mit euern scharfen Schwertmündern Gutes redet. Als Leute der Seelsorge aneinander: Ein gutes Wort nicht nur übrighabt, sondern liebevoll verpackt freimütig verschenkt. Das wünsche ich mir von euch, liebe Gemeinde, dass ihr mit euern scharfen Schwertmündern anderen guttut. Als Leute mit Zivilcourage: Einsteht für die, die sich nicht wehren können. Das geht bei den Kindern in Kindergarten und Schule los und hört ein ganzes Leben lang nicht mehr auf: Das wünsche ich Euch Eltern, Familien und Freunden der Täuflinge: Dass es immer Leute geben wird, die euern Kindern beistehen. Vielleicht andere Kinder, vielleicht Erwachsene, die mit ihrer Kraft den Kindern Kraft geben, wenn es darauf ankommt. Und dazu erzieht auch eure Kinder: Partei zu ergreifen für Ausgegrenzte, Unrecht beim Namen zu nennen; Doppelzüngigkeit nicht stehen und Verleumdung und Lüge nicht durchkommen zu lassen: Da soll, ja da muss der Schwertmund aufgehen und widersprechen.

Ja, das ist auch meine Erfahrung und Hoffnung, wie es Jesaja schreibt: Ich dachte, ich arbeitete vergeblich und verzehrte meine Kraft umsonst und unnütz. – Doch mein Recht ist bei dem HERRN und mein Lohn bei meinem Gott. Das gibt mir Kraft. Und Mut. Auch zum Weitermachen gegen alle Unkenrufe. „Wir können doch eh nichts ausrichten.“ Und „Die da oben hören doch nicht auf uns.“ Die Aussicht, dass mein Recht bei Gott liegt und er mein Lohn ist, schenkt mir Rückenwind. Ich verweigere mich dem Abgesang auf die Demokratie und dem Trauermarsch für unser gesellschaftliches Zusammenleben. Und deshalb sage ich es mir und dir laut: Dein Tun ist nicht umsonst! Deine Kraft nicht unnütz, dein Einsatz lohnt!

Jesaja schreibt weiter: Und nun spricht der HERR, der mich von Mutterleib an zu seinem Knecht bereitet hat (…) Es ist zu wenig, dass du mein Knecht bist, die Stämme Jakobs aufzurichten und die Zerstreuten Israels wiederzubringen, sondern ich habe dich auch zum Licht der Völker gemacht, dass mein Heil reiche bis an die Enden der Erde.

Ihr Lieben, ist das nicht ein wenig dick aufgetragen?: Die „Aufgabe, Israels Licht, ‚Licht der Welt‘ zu sein? Wenn ich die biblischen Schriften weiterlese, stoße ich immer wieder darauf. In der Jesusgeschichte ist es Simeon im Tempel, der über den Säugling in Marias Arm sagt, ‚Ein Licht zu erleuchten die Heiden und zum Preis deines Volkes Israel.‘ Und der erwachsene Jesus predigt es überall, wo es gerade dunkel ist: ‚Ich bin das Licht der Welt“.

Heute werden die Täuflinge in dieses ganz besonders Licht Gottes hineingestellt.
Taufe bedeutet, dass wir Gott anvertraut werden. Unser Leben steht nun im Licht Gottes. Als Zeichen dafür wurden die Taufkerzen an der Osterkerze entzündet.

Alle Getauften leben im Übergang: von der „Nacht“ zum „Tag“. So ist jede erlebte Taufe auch Tauferinnerung an die eigene Taufe:

„Ich bin getauft“: Wer an Christus glaubt und getauft ist, der lebt aus diesem Licht und kann die Welt in diesem neuen Licht sehen. Dabei das Lichtvolle in der Welt und sogar in meinem Nachbarn entdecken. Das verändert meine Sicht.
„Ich bin getauft“: Selbst das Gewohnte und Vertraute erhält so einen neuen Schein. Das Leben ist nicht eine Aneinanderreihung von Zufällen. Ich sehe mein Leben in Gottes Licht vertraue mich ihm an.
„Ich bin getauft“: Und doch bleiben mir – wie auch den vielen tausend hier im Dom und anderswo Getauften vor uns – ernüchternde, auch schmerzhafte Erfahrungen nicht erspart. Diese Erfahrung von Müdigkeit und Vergeblichkeit kenn ich auch. Und ich meine damit nicht nur die Alltags-Müdigkeit, sondern auch eine in die Tiefe der Seele reichende, die den Glauben lähmt. Ja, ich weiß: Auch Getaufte erfahren nicht nur Licht, sondern auch Dunkelheit im Leben.

Gerade und deshalb muss es dir und mir von Gott selbst gesagt werden: ich habe dich zum Licht der Völker gemacht, dass mein Heil reiche bis an die Enden der Erde. Oder in der Übersetzung Martin Bubers: „den Weltstämmen gebe ich dich zum Licht, dass meine Freiheit werde bis an den Rand des Erdreichs.“
Gerade dann, wenn du dich nicht leuchtend erlebst, dann, wenn ich mich nur als rußende Funzel sehe, ist mir und dir, ist uns gesagt: „Ihr seid das Licht der Welt!“.

Ihr Lieben, das wünsche ich euch: Dass ihr dieser Zusage traut. Gott selbst sagt es, wie sollten wir also daran zweifeln?
Im Licht dieses Wortes erkenne ich den Auftrag an uns als Gemeinde, als Kirche Jesu Christi: die Botschaft vom Licht – mit Schwertmund - in die Welt hineinzuleben. Und so als Getaufte Licht der Welt zu sein.  
Amen.

Und der Friede Gottes…


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