22.09.2019
Predigt von Tobias Schüfer zur Vorstellung der Kandidaten für das Regionalbischofsamt Meiningen-Suhl
Am 22. September 2019 in Meiningen
Jakob schaut die Himmelsleiter
Predigt zu 1. Mose 28, 10-19a
Jakob läuft ins Bild. Und in die Dämmerung hinein. Läuft alleine. Denkt nach, hat jetzt Zeit zum Nachdenken. Mehr als genug. Heute früh schien alles noch halbwegs in Ordnung zu sein. Zu Hause bei der Familie. Vater Isaak, der Blinde, Mutter Rebekka, die ihn lieber hat als den Bruder. „Ach, Esau“, denkt Jakob, „Bruder, vor dem ich fliehe.“ Und merkt erst hier beim Laufen durch die Wüste, was schief gelaufen. Richtig schiefgelaufen. Reichlich Versagen im Gepäck. Dem Bruder das Erstgeburtsrecht abgezockt. Vom Vater den Erstgeborenensegen erschlichen. Bei all dem sich verstellt und reichlich gelogen. Welche Gebote sind da eigentlich übertreten? Vater und Mutter ehren. Nicht begehren, zwei, drei kommen da schon zusammen. Jakob läuft ins Bild. Läuft schief. Müde vom Versagen. Nur noch hinlegen. Viel Zeit ist nicht mehr. Die Sonne geht gleich unter.
Mit Jakob laufen wir ins Bild. Und in die Dämmerung hinein. Nehmen uns Zeit zum Nachdenken. Damals, ja damals, da schien alles noch halbwegs in Ordnung zu sein. Die Kirche eine starke, eine rebellische Institution mit klarem Profil, ein echtes Gegenüber, Hoffnungsträgerin, Bewahrerin des Glaubens, prophetische Stimme, und die Leute kamen, suchten Zuflucht, sammelten Kräfte, diskutierten, mischten sich ein. Ach, denken wir mit Jakob in der Wüste, nehmen uns die Zeit zum Nachdenken und merken, was inzwischen so alles passiert ist. Einiges richtig schief gelaufen.
Haben uns auch ausgeruht auf Tradition, statt den Lebendigen am Rand zu suchen bei denen, die draußen stehen. Haben soziale Fragen gerne an die Diakonie ausgelagert, statt zu verstehen, dass Diakonie uns alle braucht. Haben liebend gerne alles vom Herrn Pfarrer erwartet, der sich dann kaputt gearbeitet hat, statt das Priestertum aller Gläubigen beherzt in die Tat umzusetzen.
Reichlich Versagen im Gepäck. Deklinieren die Zehn Gebote rauf und runter, versuchen mit Jakob Schritt zu halten und rufen ihm zu: „Haben uns auch an dir vergangen, an Jakob, an Israel. Haben dich den Betrüger genannt in unseren Auslegungen. Haben uns an deinen Nachkommen vergangen. Familie Oestreicher hier aus Meiningen zusammen mit dem kleinen Paul in die Flucht getrieben. Das kommt ja alles noch dazu.“
So laufen wir ins Bild. Laufen schief. Müde vom eigenen Versagen. Nur noch hinlegen, viel Zeit ist nicht mehr. Kommen mit Jakob an diese Stätte. Bleiben über Nacht. Noch eben einen Stein zurechtgelegt für das Haupt. Dann schlafen.
„Und ihm träumte, eine Leiter stand auf Erden, die rührte mit der Spitze an den Himmel. Und siehe, die Engel Gottes stiegen dran auf und nieder.“
Augen zu.
Und sehen es.
Lautloses Steigen und Sinken.
Erst auf, ganz viele.
Dann ab, wieder ganz viele.
Engel Gottes
zunächst von unten nach oben.
Die hatten den ganzen Tag zu tun
hier unten auf Erden.
Staub fällt ab von Ihnen, während sie aufsteigen.
Sehen zufrieden aus, sinnvolle Arbeit,
müde, aber glücklich, Feierabend.
Und bleibt nicht lange engellos, die Erde,
andere steigen hinab,
nicht weniger als die, die eben noch hinauf,
kommen nach unten, verteilen sich
und gehen gleich ans Werk.
Nachtschicht, da gibt es auch zu tun.
Und nachher wieder volles Engelsprogramm,
wenn der Tag beginnt.
Jakob sieht die Engel. Auf und ab.
Hat sowas noch nie gesehen.
Sieht zu. Und wir sehen mit ihm.
Gott im Kontakt mit seiner Erde.
Ankunft im Niemandsland, der Wüste,
der Region jenseits der großen Städte.
Hatten es immer schon geahnt. Gehofft.
Aber gesehen doch noch nicht.
Jetzt sehen wir´s. Wie schön.
Mag sein, ihr meint wie ich, das würde mir schon reichen. Gott geht in Kontakt mit uns Menschen. Und das auf diese schöne Art und Weise. Himmelsleiter. Engel, rauf und runter. Mir würde das schon reichen. Doch Gott reicht´s noch nicht. Setzt eins oben drauf. Knüpft unten an. Belässt es nicht bei seinen Boten, nein, kommt selbst. Luther übersetzt: „Und der Herr stand oben darauf“ nämlich auf der Leiter von Vers 12. Allerdings sind sich die Kommentare einig: Dort stand Gott bestimmt nicht. Auch wenn ich ungern in die Bilder ihrer Kinderbibel eingreife, an dieser Stelle ist das Bild zu korrigieren. Markieren Sie bitte „den Herrn“, der wegen eines Übersetzungsfehlers immer noch da oben auf der Leiter verortet ist, markieren Sie ihn mit der linken Maustaste bitte als Block. Und dann ziehen sie ihn an der Leiter entlang ganz nach unten auf den Erdboden. Direkt neben Jakob, oder leicht gegenüber. Gott bleibt nicht im Himmel. Sonst nicht und hier in dieser Begegnung eben auch nicht.
Von unten her beginnt er zu sprechen. Stellt sich vor als Gott der Väter und Mütter. Und spricht vier Verheißungen aus:
„Dieses Land werde ich deinen Nachkommen geben.“
„Du wirst unglaublich viele Nachkommen haben, die sich ausbreiten in alle Himmelsrichtungen.“
„Durch dich und deine Nachkommen sollen alle Geschlechter auf Erden gesegnet werden.“
Und: „Ich werde dich behüten, wo du hinziehst, und werde bei Dir sein. Ich werde dich nicht verlassen, bis ich alles getan habe, was ich dir zugesagt habe.“
Liebe Schwestern und Brüder, hier muss ich die nächtliche Szene kurz unterbrechen. Ich drücke kurz die Pausentaste und mache nochmal das Licht an. Spätestens jetzt haben wir zu klären, wo unser Platz ist. Es versteht sich nicht von selbst, dass wir uns einfach so in die nächtliche Szene hineinlegen. Und so tun, als wäre es klar, dass Gott zu Jakob spricht und zugleich zu uns.
Die Verheißung geht an Jakob, der bald Israel heißen wird.
Die Verheißung Gottes gilt Israel. Gott hat sich sein Volk erwählt.
Zugleich wird die Verheißung an Israel schon hier, schon auf den ersten Seiten der Bibel geweitet. Gott umarmt mit diesem kleinen Volk den ganzen Erdkreis: Jakob, ein Segen für alle Geschlechter auf Erden. Wir mit hineingenommen. Mit eingeschlossen. Mit gemeint. Ein Segen mit Strahlkraft. Flächendeckung. Kettenreaktion. Tiefenwirkung. Dominoeffekt. Ich will den Weg mit euch gehen, bei euch bleiben und euch Treue halten. Bis alle zurückgefunden haben und niemand mehr sein Haupt an einen Stein legt im Niemandsland zwischen Heimat und Fremde.
Die Grundregel ist einfach: Weil Gottes Verheißung Israel gilt, öffnet sich seine Verheißung auch für uns. So nimmt Gott uns hinein in seinen Segen. Spricht uns zu: Ich werde mit euch sein. Spricht Christus zu uns: „Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Ihr werdet den Himmel offen sehen und die Engel Gottes hinauf- und herabfahren über dem Menschensohn. Ja, ihr!“
Ich mache das Licht wieder aus, zurück in die Nacht, zurück in das Bild. Legen uns zu Jakob, wärmen uns an seinem Segen. „Nein, wir nehmen dir nichts weg. Staunen mit dir. Glauben mit dir. Danken dir für die Gemeinschaft.“
Gott ist schon schwer zu verstehen.
Wendet sich Jakob zu.
Hält zu einem, der offensichtlich versagt hat.
Seine Gebote nicht gehalten.
Staunen über die Treue Gottes,
gratis gibt er, unabhängig von Jakobs Tun und Versagen,
hat Großes mit ihm vor,
Evangelium, pures Evangelium auf den ersten Seiten der Bibel:
„Ich bin mit dir und will dich behüten, wo du hinziehst, ich will dich nicht verlassen, bis ich alles tue, was ich dir zugesagt habe.“
Gott ist schon schwer zu verstehen.
Wendet sich uns zu.
Hält zu denen, die offensichtlich versagt haben,
Seine Gebote nicht gehalten. Stauen über Gottes Treue,
gratis gibt er, unabhängig von Tun und Versagen,
hat er Großes mit uns vor,
Evangelium, pures Evangelium auf den ersten Seiten der Bibel:
„Ich bin mit euch und will euch behüten, wo ihr hinzieht, ich will euch nicht verlassen, bis ich alles tue, was ich euch zugesagt habe.“
Auch wer so geträumt hat, wacht irgendwann auf.
Widerwillig. Lieber weiter träumen.
Das Bild festhalten und die Stimme und die Gewissheit.
Reibt sich die Augen. Unglaublich!
Jetzt gilt es, den Traum ins Wachbewusstsein zu überführen.
„Fürwahr, Gott ist an dieser Stätte, und ich wusste es nicht.“
Mehrfach erschrocken.
Erschrocken von der Begegnung mit dem Allmächtigen.
Erschrocken auch, es nicht gewusst zu haben.
„Fürwahr, Gott ist an dieser Stätte. Ich hätte es eigentlich wissen können.“
Jetzt weißt du es, Jakob. Dass Gott dir die Treue hält. Bei dir bleibt. Leicht wird’s deshalb nicht, hast noch einen langen Weg vor dir. Gut, dass du noch nicht weißt, welche Abenteuer dich noch erwarten und welche Krisen. Dass dein Schwiegervater dich betrügen wird, wie du deinen Vater betrogen hast. Wirst mit Gott ringen, kämpfen und gewinnen. Gut, dass du noch nicht weißt, dass es 20 Jahre dauert, bis du dich mit deinem Bruder versöhnst. Doch keimt seit dieser Nacht in dir die Gewissheit, dass dein Gott seine Verheißung erfüllt. Du wirst Heimat finden. Wirst viele Nachkommen haben. Segen wird von dir ausgehen auf alle Geschlechter der Erde. Und Gott wird die ganze Zeit bei dir sein und dich behüten.
Wer so geträumt hat, wer so mitgeträumt hat, wacht auf.
Reibt sich die Augen: Unglaublich.
„Fürwahr, Gott ist an dieser Stätte und ich wusste es nicht.“
Mehrfach erschrocken. Wir haben die Geschichte ja schon so oft gehört, auch sein Versprechen, bei uns zu sein.
Darum erschrecken wir auch über unsere Vergesslichkeit.
„Fürwahr, Gott ist an dieser Stätte. Ich hätte es eigentlich wissen können.“
Ja, langsam könntet ihr es wissen. Das Gott euch die Treue hält. Bei euch bleiben wird. Leicht wird’s deshalb nicht, ihr habt einen langen Weg vor euch. Gut, dass ihr noch nicht wisst, welche Abenteuer euch noch erwarten. Eure Kirche wird sich heftig verändern. Habt keine Angst davor! Eure politische Landschaft ist durchgerüttelt: Habt keine Angst, Gott möchte euch hier. Der Riss geht durch die Gesellschaft. Doch es ist möglich, wieder zusammenzukommen. An einem Tisch zusammenzufinden. Euer Gott ist der große Versöhner. Traut ihm. Er traut euch.
Ja, ihr werdet mit Gott ringen und euch nach durchkämpfter Nacht von ihm segnen lassen. Gut, dass ihr noch nicht wisst, wie lange es dauert, bis das, was ihr euch wirklich ersehnt, auch eintritt. Doch keimt in euch träumend und wachend, aufbrechend und rastend, verzweifelnd und Mut schöpfend die Gewissheit, dass Gott seine Verheißung an euch erfüllen wird. Segen wird von euch ausgehen auf Land und Stadt, Gäste und Alteingesessene, Vertraute und Fremde. Gott wird mit euch sein und wird euch behüten, wo ihr hinzieht. Und wird euch nicht verlassen. Bis er alles tut, was er euch zusagt hat. Amen.