04.06.2023
Kostbares und Bitteres
Tick tack tick tack. Von meinem Opa habe ich eine Taschenuhr geerbt. Sie ist mein persönlicher Schatz. Er ist gestorben, da war ich noch ganz klein.
Inzwischen bin ich selbst Opa und kann insgesamt fünf Generationen überblicken. Zwei vor mir und zwei nach mir – von meinen Großeltern bis zu meinen kleinen Enkelinnen.
Mein Vater war passionierter Ahnenforscher. Er konnte unsere Familie bis 1686 zurückverfolgen. Gottfried hieß mein Ur-Ur-Ur---Ur-Ur-Urgroßvater. Das sind immerhin weitere sechs Generationen. Zusammen macht das also elf Generationen, von denen ich zumindest einen Namen kenne. Weiter reichen die Quellen nicht und die Erinnerung schon gar nicht. Das ist ein Zeitraum von 350 Jahren. Gute und schwere Jahre.
Ich ziehe Opas alte Taschenuhr auf und höre auf das gleichmäßige tick tack tick tack...
Ältere Erbstücke gibt es in unserer Familie nicht. Ich werde die Uhr irgendwann auch einmal vererben – bis dahin werde ich sie gut aufbewahren.
Kostbares – aber auch Bitteres hinterlassen wir unseren Nachkommen. Segen und Fluch. Die nächsten 33.000 Generationen müssen den ganzen Atommüll aufbewahren, den wir ihnen hinterlassen. 33.000 Generationen! – So einen Zeitraum kann sich kein Mensch vorstellen. Das ist ein verfluchtes Erbe. Und darum bin ich sehr froh, dass in diesem Jahr die letzten Atomreaktoren in unserem Land vom Netz gegangen sind und hier nicht noch mehr dazukommt. Denn diese Hinterlassenschaft wird weiterticken, ohne dass jemand aufzieht: Tick tack tick tack...
Peter Herrfurth, Landesjugendpfarrer in Magdeburg
