09.01.2019
Nur für Liebesbriefe
Ich will noch rasch den Brief in den gelben Kasten werfen, da stutze ich.
Auf die Klappe des Postkastens in einer Hallenser Straße hat jemand geschrieben: „Nur für Liebesbriefe!“ Das finde ich ja genial. Keine Rechnungen mehr, keine Mahnungen. Keine Drohbriefe, keine Gebührenbescheide, keine Trauerkarten, keine Werbung. Nur noch Liebesbriefe!
Es ist schon lange her, dass ich einen Liebesbrief bekommen habe. Und dass ich einen geschrieben habe, ist bestimmt genauso lange her. Schade eigentlich.
Ich stelle mir vor, wie Männer und Frauen, alte und junge, heimlich zu diesem Postkasten pilgern, ihre Briefe aus der Tasche ziehen und in den Schlitz werfen. Der schüchterne Junge, das stille Mädchen...
Ich stelle mir vor, wie der Gerichtsvollzieher am Briefschlitz diese Worte liest und den Strafbescheid im letzten Moment doch noch zurückzieht. Oder wie der zornige Nachbar plötzlich stockt, seine Mundwinkel nach oben wandern und er seinen wütenden Beschwerdebrief lächelnd zerreißt.
Aber das geht ja alles nicht. Kein Gerichtsvollzieher wird sich von dem Gekritzel auf dem Briefkasten beeindrucken lassen und kein zorniger Nachbar bekommt Schmetterlinge im Bauch.
Es kann natürlich nicht nur Liebesbriefe geben. Das ist mir klar.
Aber wie geht das, sich von Liebe leiten lassen und trotzdem Tacheles reden?
„HERR, setze vor meinem Mund eine Wache, behüte die Tür meiner Lippen!“ sagt einer in der Bibel. Einer, der weiß, was man mit Worten anrichten aber auch bewirken kann - mit lieben Worten und mit bösen Worten. Wie wir schreiben, was wir einander mitteilen - mündlich oder schriftlich - das können wir beeinflussen. Das Schwere kann ich freundlich sagen, liebevoll und mitfühlend.
Und manchmal muss ich mich auch trauen, einen Liebesbrief zu schreiben. Um Dinge wieder in Ordnung zu bringen.
Peter Herrfurth, Landesjugendpfarrer in Magdeburg