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29.01.2023
Das Bekannte verlassen

Verlasst das Bekannte für ein Weilchen, schreibt Hafiz, der persische Dichter. Erlaubt euren Sinnen, sich auszudehnen. Wie eine sehnlich erwartete Jahreszeit sich über Wiesen und Ufer und Hügel ausbreitet.

Was für schöne Zeilen, denke ich.
Das Bekannte verlassen, die Sinne dürfen sich ausdehnen.
Ein Sonntagsmotto.
Und so verlasse ich den Raum des Realistischen.
Und träume.
Wie ist es, aufzustehen und die Welt ist in Ordnung.
Es ist Frieden gekommen. Über Nacht.
Die Soldaten haben ihre Stellungen verlassen und sind heimgekehrt.
Die Generäle wissen auch nicht mehr, was sie für Befehle geben sollen, und ziehen sich zurück. Denken ein bisschen nach. Anders irgendwie. Lassen das Gewitter im Kopf abklingen.
Und die in den Kellern warten noch ein wenig, dann trauen sie sich, die Köpfe herauszustrecken. Sie atmen Ruhe. Ist so Frieden?
Woran würde man ihn erkennen?
Im Radio bringen sie lauter gute Nachrichten.
Das wäre was!
Und kehrt das Leben zurück. Binnen Stunden.
Heimkehrer fallen sich in den Arm.
Es kommen Menschen, die helfen – aus aller Herren Länder.
Baufahrzeuge räumen den Schutt auf.
Jemand fängt an zu kochen. Es riecht nach Hühnersuppe.

Verlasst das Bekannte für ein Weilchen. Erlaubt euren Sinnen, sich auszudehnen.
Träumt vom Frieden. Damit wir Bilder bekommen, wie er gehen kann, der Frieden.
Damit wir ahnen, wie es Gott für uns meint. Und für diese Welt.

Einen wunderbaren Sonntag wünscht ihnen Ulrike Greim, Weimar, Evangelische Kirche.


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