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26.05.2021
Montmartre

Dass sie demnächst auf Abschlussfahrt wären, dass schmerzt. Paris sollte es werden. Seit der 10. Klasse hatten sie sich das ausgemacht. Wenn wir das Abi in der Tasche haben, fahren wir nach Paris. Erst nur zu viert. Dann kamen immer mehr dazu. Am Ende sollte es die ganze Klasse sein. Sie hatten sich oft angenervt, aber je länger der Lockdown anhielt, um so sicherer wurden sie sich, dass sie zusammen fahren wollen. Sie haben sich heimlich getroffen, draußen bei der Ruine der alten Kaserne. Schon auch irgendwie auf Abstand, aber irgendwie auch nicht. Die Pärchen sowieso nicht. Da haben sie erzählt und geträumt. Wie sie sich ein Cabrio mieten und mit offenem Verdeck die Champs-Élysées herunterfahren, wie sie einen drauf machen – in der Stadt der Liebe. Wenn alles vorbei ist, wenn der elende Lern-Stress endlich ein Ende hat, die Prüfungsangst überwunden ist. Wenn sie es geschafft haben, diese enorme Hürde genommen haben, die Prüfungen hinter sich. Wenn sie diesen elenden Lappen endlich in der Hand haben, der ihnen das Tor zur Uni und zum Leben öffnet.

Demnächst also wären sie in Paris. Auf dem Montmartre. Sie würden auf die Stadt schauen und wissen: So schön ist das Leben.

Doch der Traum ist geplatzt.

Es tut weh, so am Leben gehindert zu werden. Stattdessen treffen sie sich an der Ruine, rauchen, trinken und daddeln am Smartphone.

Diese Lektion ist die härteste: Das Leben kann anders kommen. Sicher ist nur der Tod.

Aber die Stadt der Liebe findest du nicht nur an der Seine. Es kann deine eigene sein. Deine Liebe entscheidet. Und die Sonne scheint auch hier, und ein Cabrio gibt’s auch.

Hab Ehrfurcht vor dem Leben und genieße die Rose, die blüht.

Ulrike Greim, Weimar, Evangelische Kirche


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