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16.09.2017
Speziallager II

Sie hatten ihm gesagt, wie es läuft. Es schien ihm plausibel. Er hat daran geglaubt. Er hat seinen Job gemacht. Als der Krieg zu Ende war, kam er nach Hause zu Frau und drei Kindern. Sie waren froh, es überstanden zu haben. Sie wollten alles wieder aufbauen. Eines nachts stehen die Russen vor der Tür und holen ihn ab. Er kommt vor ein Tribunal und wird verurteilt. Kein Anwalt, keine Details. Dann das Lager. 1948 die Amnestie.
Den Kindern sagen sie, dass er freigesprochen wurde. Falsch beschuldigt. Er hält sich an das Schweigegebot. Sagt zeitlebens nichts. Nur, dass es ihm noch besser erging, weil er in der Küche gearbeitet hat und Kartoffelschalen essen durfte. Er wird ein verhärmter alter Mann.
Die Kinder und die Enkel haben das ungute Gefühl, dass da Schuld lastet. Nach seinem Tod recherchieren sie, bekommen aber nichts heraus. Hat er Menschen auf dem Gewissen? Viele? Sie ahnen.
Wie kann man den Opfern gerecht werden?
Die Lager haben keine Gerechtigkeit gebracht. Vielleicht eine kurze Genugtuung.
Eines Tages werden die Enkel an einem namenlosen Grab stehen. Sie werden weinen. Sie werden verbunden sein mit denen, die hier starben. Der Großvater hatte jene für unwertes Leben erachtet und sie auf eine Todesliste gesetzt.
Die Tränen lösen die alte Verstrickung.
So kann Frieden werden. Denn Frieden braucht die Tränen. Das Verbunden-Sein mit den Opfern. So wird Gerechtigkeit wachsen.
Ulrike Greim, Weimar-Buchenwald, Evangelische Kirche.


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