24.01.2019
Ehrliche Orte

Sie sitzen sich gegenüber an langen Tischen. Der Tischschmuck ist einfach und ehrlich. Und so ist auch das Essen auf den Tischen. Eine ehrliche Veranstaltung.  Die Menschen könnten unterschiedlicher nicht sein. Anzugträger und Jogginghosen, ältere Männer und jüngere Frauen. Sie alle vereint ein Schicksal. Sie alle sind heute hier beim Blauen Kreuz, einer christlichen Selbsthilfegruppe für alkoholkranke Menschen und ihre Angehörigen.

Als Pfarrer bin ich immer mal wieder in dieser Runde eingeladen. Und ich bin stets beeindruckt: Mich berührt die Offenheit und die Ehrlichkeit der Menschen. Sie alle tragen das gleiche Kreuz. Das führt sie zusammen und das eröffnet ihnen eine Ehrlichkeit, die mir so nur ganz selten begegnet.

Hier hat jeder seine Geschichte. Es sind die Geschichten, die das Leben schreibt.

Von Arbeitslosigkeit und Wendeverlierern, von zerrütteten Ehen und Gewalt in den Familien. Aber auch von Leistungsdruck und dem Leben hinter bürgerlichen Fassaden. Und von der Sehnsucht nach Ehrlichkeit und einem Neuanfang.

Hier beim Blauen Kreuz spüre ich inmitten aller Abhängigkeit ein Gefühl von Freiheit. Endlich offen reden, endlich ehrlich sein.

Solche Orte wie das Blaue Kreuz wünsche ich mir noch viel öfter für unser Zusammenleben. Orte, an denen wir ehrlich sein können, an denen wir schwach sein können. Orte, an denen wir Mensch sein können.

Seien wir ehrlich wünscht sich Pfarrer Ramón Seliger, evangelisch und aus Weimar

 

 


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