01.04.2021
Eier und Schuld

Neulich begann ich ein Ei zu schälen, von dem ich dachte, es sei gekocht. War es nicht. Am liebsten hätte ich jemandem dafür die Schuld gegeben. Aber es kam keiner in Frage außer mir selbst. Denn vor vielen Jahren, von der Sendung mit der Maus hab’ ich gelernt, wie man prüft, ob ein Ei roh ist oder gekocht. Man lässt es kreiseln. Wenn es sich schnell um die Achse dreht, ist es gekocht. Wenn es roh ist, eiert es langsam herum. Durch den flüssigen Dotter entsteht eine Unwucht. Auch bei den farbigen Eiern zu Ostern ging es früher um Schuld. Im Mittelalter war das letzte Ei, mit dem Pächter an Gründonnerstag ihre Jahressteuer bezahlten, rot gefärbt. Die Schuld war damit getilgt. Später beschenkte man nicht nur den Adel mit farbigen Eiern, sondern auch seine Liebsten. Schade, dass das heute nicht mehr so geht. Wäre doch schön, wenn man alle Schuld, die sich im Jahr gesammelt hat, tilgen könnte mit einem Ei – gekocht natürlich. Obwohl ich zugeben muss: Es schließen sich sofort Fragen an. Was wäre, wenn jemand ein Ei von mir erwartet, wo ich gar keins geben würde? Der meint, ich bin schuldig an ihm geworden, ich denke das aber nicht. Und wenn ich das bei der Eiervergabe einfach ignoriere, entsteht damit nicht neue Schuld, für die ich dann wirklich ein Ei geben müsste? Gut, ich gebe das Herumeiern auf. Ich glaube, Gott vergibt uns unsere Schuld. Aber nicht wie ein Grundherr, den wir dafür zahlen. Sondern er weiß, dass wir ohne Schuld(Gefühl) besser leben. Er will, dass wir frei sind.

Schlafen Sie gut, wünscht Milina Reichardt-Hahn, evangelisch und Pfarrerin in Fambach


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