13.09.2017
Eine Ausnahme

„Du sollst Deinen Nächsten lieben wie dich selbst“, heißt es. Nächstenliebe, immer gerne. Aber bei dem Typen geht das wirklich nicht.
Dabei kann ich auf Anhieb gar nicht sagen, was das Schlimmste an ihm ist. Ob das seine Zahnstummel sind, die alle Blicke auf sich ziehen. Weil er seinen Mund die ganze Zeit offen hält. Die Zähne, voll mit Zahnbelag und Essensresten. Er hat wirklich alles. Aber eine Zahnbürste hat er nicht.
Oder ob es doch seine feuchte Aussprache ist, die mich abstößt. Dabei spricht er gar nicht so feucht nach Rasensprenklerart, nicht so wie all die anderen Feuchtaussprechler. Bei ihm kommt es eher so grob, überraschend plötzlich. Und direkt ins Gesicht.
Oder ob es doch sein Geruch ist, der mich abstößt. Stechend süßer Schweiß. Er stinkt nicht nur zur Sommerszeit, nein auch im Winter, wenn es schneit.
„Du sollst Deinen Nächsten lieben wie dich selbst.“ Aber wer sagt, dass wir nebeneinander sitzen müssen? Wenn er kommt, dann muss ich gehen. Das ist wie ein Reflex. Mein Körper bringt sich in Sicherheit.
„Du sollst Deinen Nächsten lieben wie dich selbst.“ Und ich beginne zu feilschen: „Ach Herr, ich will Dein Gebot ja halten. Ich finde es grundsätzlich gut. Oft gelingt´s mir ja auch. Und trotzdem will ich fragen, ob du nicht vielleicht doch jedem eine klitzekleine Ausnahme erlauben würdest? Nur eine. Dann würde mir das mit der Nächstenliebe viel leichter fallen.“
Dass sie viel leichter und gerne lieben, das wünscht Ihnen Pfarrer Tobias Schüfer, evangelisch und aus Erfurt.


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