20.05.2020
Gute-Nacht-Lied
Sie sitzt allein im Sessel. Es ist still. Früher war das Haus erfüllt von seiner Musik. Und von dem Lachen der Kinder. Früher gab er mit seiner Oboe im Orchester den Ton an. Ein Musiker mit Leib und Seele. Keinen Tag gab es, an dem er nicht stundenlang geübt hätte.
Überhaupt: Wie viel Schönes sie zusammen erlebt haben! Jede Ecke im Garten, jedes Foto an der Wand, jedes Möbelstück duftet noch immer nach Glück.
Und jetzt? Jetzt ist sie einsam. Die Söhne sind längst erwachsen und haben selbst ihre Familie und ihr Tun. Sie ist froh, wenn sie mal anrufen oder übers Wochenende vorbeikommen.
Die Oboe hängt an der Wand. Gleich neben dem Schreibtisch, der jetzt immer so aufgeräumt ist… Wann hat er den letzten Ton gespielt?
Es ist sehr leise geworden im Haus, seit er im Pflegeheim ist. Sie wollte es eigentlich anders. Aber dann ging es einfach nicht mehr. Und eigentlich geht es ihm ja auch ganz gut dort. Einzelzimmer mit Balkon – das ist noch ein Glücksfall.
Nur, dass sie ihn jetzt so selten besuchen kann! Und den kleinen Singkreis gibt´s auch nicht mehr. Da hat er so gerne mitgesungen! Wenn es auch nur ganz einfache Lieder waren…
Aber manchmal ruft sie ihn abends noch an. Die Schwester weiß Bescheid und hält ihm den Hörer hin. Und dann singt sie ihm durchs Telefon vor:
Weißt du wie viel Sternlein stehen, an dem blauen Himmelszelt…
Viel versteht er nicht mehr. Aber das Lied – das summt er mit.
Sie haben es ja früher abends am Bett ihren Kindern vorgesungen. Und jetzt singt sie es für ihn:
Gott der Herr hat sie gezählet, dass ihm auch nicht eines fehlet…
Kennt auch dich und hat dich lieb.
Eine gute Nacht wünscht Angela Fuhrmann, Ev. Pfarrerin in Gotha