08.03.2017
Kleine Nachtmusik

Abends ist es so still in Tanjas Wohnung. Und dann grübelt sie manchmal herum. Denkt an die Großeltern, die so von Deutschland geträumt hatten. Wenn die wüssten…

Ach ja, das waren gute Menschen. Und ein bisschen altmodisch auch. Abends hat die Großmutter immer gebetet. Mit gefalteten Händen und geschlossenen Augen.

Sie sind früh gestorben. Tanja seufzt.
Sie wohnt jetzt schon ein paar Jahre hier. Und fühlt sich immer noch fremd. Liegt wohl auch an ihrem Akzent, den sie nicht los wird.

Sie gehört nicht so richtig dazu, hat wenig Kontakte. Auch hier im Block: Alle sind mit sich beschäftigt, mit ihren Sorgen, mit ihrem Hund. Im Treppenhaus huschen sie aneinander vorbei.

Sie steht auf und öffnet die Balkontür. Und wundert sich: Mit der frischen Luft kommt noch etwas Unverhofftes herein: Klänge? Schöne Stimmen?

Sie geht nach draußen. Niemand zu sehen. Nur das offene Fenster von der Schule gegenüber. Sie lauscht. Ein Chor, der dort übt? Es klingt wunderschön:

Gott hat mir längst einen Engel gesandt,
mich durch das Leben zu führen.
Und dieser Engel hält meine Hand,
wo ich auch bin kann ich’s spüren.
Mein Engel bringt in Dunkelheit mir Licht.
Mein Engel sagt mir: „fürchte dich nicht!“
Du bist bei Gott aufgehoben!

Tanja glaubt nicht an Gott. Aber das Lied mit dem Engel macht etwas mit ihr. Sie sitzt noch lange im Gartenstuhl und lächelt und weint. Und weint und lächelt.

Eine gute Nacht ohne Furcht
wünscht Angela Fuhrmann,
Pfarrerin von der Ev. Kirche in Gotha


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