24.06.2021
Kraftmomente helfen
Mit 14 war ich auf einer Jugendfreizeit in Österreich. Mit Lisa, Hanna und Jessica aus meiner Klasse. Lisa hab’ ich bewundert, weil sie vor niemandem Angst hatte. Jessica hab’ ich beneidet um ihre schönen blonden Haare. Und dann war da Hanna – die dritte im Bunde. Und ich war draußen. Im Bus saß ich neben Hanna. Mit mulmigem Gefühl vor den nächsten Tagen, aber neugierig auf die Freizeitteilnehmer, die nach und nach zustiegen. Lustig wurde es mit einigen Jungs, die lauterWitze erzählten. Einer hatte einen Hundeblick, den sehe ich heute noch vor mir – Michi. Die Freizeit war abwechslungsreich, die Leute interessant. Trotzdem war ich auf dem Schlossberg unserer Unterkunft ständig auf der Suche nach Lisa, Hanna und Jessica. Vergebens. Meist liefen sie alle drei Arm in Arm herum. Einmal gingen sie ins Dorf, ohne mir Bescheid zu sagen. Hinterher meinten sie nur: „Wir haben Dich überall gesucht, aber nirgends gefunden.“ Von wegen!, denke ich heute. Aber damals tat ihre Lüge weh. Ich versuchte, ruhig zu bleiben. Weiter zu atmen. Am besten ging es mir zu den Gruppenzeiten. Beim Singen fühlte ich mich sicher. Da störten mich sogar die Blicke der drei Mädels nicht mehr. Beim Singen war es, als ob etwas anderes stärker war als sie. Ich schaute aus dem Fenster – vorbei an Michi, denn oft hatte ich mich so gesetzt, dass ich ihn unauffällig anschauen konnte – ich sah die schneebedeckten Berge und den dunkelgrünen Wald. Singen hilft mir bis heute. Atmen und Stimme geben, damit die Seele aus ihrem Käfig kann.
Eine ruhige Nacht wünscht Milina Reichardt-Hahn, evangelisch und Pfarrerin in Fambach