29.10.2019
Sieh uns an!
Zum allerersten Mal ist er den Weg vom Tempel nach Hause gegangen. Auf seinen eignen Füßen. Was für ein Gefühl! Die Leute hatten ihn angestarrt, sich erstaunt die Augen gerieben. Ist das nicht der, der immer am schönen Tor des Tempels saß und bettelte? Jetzt läuft und springt er umher.
Es war am zeitigen Nachmittag gewesen. Menschen eilten vorbei. Sie wollten zum Gebet. Am Tor saßen die Lahmen und Kranken, so wie er, sie gehörten zum Bild dazu. Man hatte sich an sie gewöhnt. Hin und wieder warf man ihnen eine Münze hin. Und gut.
Da nähern sich zwei Männer. Er sieht nur ihre Füße, wie sie die Schritte verlangsamen. Vor ihm stehen bleiben. Er hört die Worte des einen: „Sieh uns an!“. Und er blickt zu ihnen herauf. Hofft, etwas von ihnen zu bekommen.
Doch der andere spricht: „Gold und Silber habe ich nicht. Aber was ich habe, das gebe ich dir: Im Namen von Jesus Christus: Steh auf und geh umher.“ Und fasst ihn an der rechten Hand und hilft ihm nach oben. Da steht er, auf seinen eigenen Beinen. Spürt die Kraft, spürt, wie der Boden ihn trägt. Er aufrecht und sicher steht. Und dann läuft er los. Erst langsam, dann immer schneller.
Die beiden Männer sehen ihm nach. Er fühlt ihre Freude in seinem Rücken. Und die Kraft der Worte: Was ich habe, das gebe ich dir. Im Namen von Jesus Christus: Steh auf und geh umher.
Manchmal meinen wir, wir hätten nicht viel zu geben. Aber schon der Mut hat Kraft. Und was für eine.
Eine gute Nacht wünscht Pfarrerin Dorothee Land, evangelisch und aus Erfurt.