Seelsorge im Fokus

Seelsorge ist ein Schatz der Kirche. Sie tut Menschen gut und ist eine erfüllende Aufgabe für Haupt- und Ehrenamtliche. Von der Öffentlichkeit wird Seelsorge als kirchliches Angebot nicht nur positiv wahrgenommen, sondern geradezu als Dienst der Kirche erwartet.

Zugleich ist Seelsorge ein meist unsichtbares Arbeitsfeld. Vertrauliche Gespräche brauchen einen geschützten Rahmen und professionelle Verschwiegenheit. Seelsorge ist deshalb nur selten öffentlichkeitswirksam.

Seelsorge drängt sich nicht auf – das gilt für die Arbeit mit einzelnen Menschen ebenso wie für das Arbeitsfeld als Ganzes. Deshalb ist es notwendig, die Seelsorgepraxis in der EKM gezielt in den Blick zu nehmen. Nur so ist es möglich, die Vielfalt dieses Arbeitsfeldes angemessen zu beschreiben, Seelsorge als wichtigen Dienst der Kirche zu würdigen und fundierte Impulse für das künftige Leitungshandeln in Bezug auf die Seelsorge zu gewinnen.

Das lateinische Wort visitatio bedeutet Besuch oder Besichtigung. In der evangelischen Kirche ist eine Visitation ein rechtlich geordneter Besuch in Gemeinden, Kirchenkreisen oder kirchlichen Einrichtungen. Eine Visitation kann aber auch ein Arbeitsfeld in den Blick nehmen, das von verschiedenen Menschen und Einrichtungen innerhalb der Landeskirche getragen wird.

Visitationen orientieren sich am Vorbild der ersten christlichen Gemeinschaften: Paulus und seine Mitarbeiter besuchten regelmäßig ihre Geschwister in den neu gegründeten Gemeinden, um sie zu beraten und zu begleiten, zu trösten und zu ermutigen und nötigenfalls auch zu warnen und zu ermahnen (Apg 15,35; 1 Thess 3).

Bereits in neutestamentlicher Zeit waren diese Besuche eine Form der gemeinschaftlichen Leitung. Heute setzt das jeweilige Leitungsgremium oder der Landesbischof eine Visitationsgruppe ein. Eine Visitation ist jedoch kein „Kontrollbesuch“ der Kirchenleitung, sondern dient vor allem der gegenseitigen Wahrnehmung und Begleitung. Es geht darum, die Menschen und die Arbeit vor Ort kennenzulernen, Veränderungsprozesse zu begleiten, Fehlentwicklungen zu erkennen und Potentiale zu fördern. Bei all dem ist eine Visitation keine Einbahnstraße: Sie dient nicht zuletzt dazu, Erkenntnisse für die Arbeit kirchenleitender Gremien zu gewinnen. So werden nicht nur bei den Besuchten, sondern auch bei der Kirchenleitung Veränderungen ermöglicht.

Der intensive Blick auf die Seelsorgepraxis in der EKM verdankt sich dem Impuls des Seelsorgebeirates, der die Spezialisierte Seelsorge in der Landeskirche vertritt. Landesbischof Friedrich Kramer setzte daraufhin 2020 eine Bischöfliche Visitation ein, die sich der Seelsorge in Gemeinden und in anderen Kontexten gleichermaßen zuwandte.

Die Bischöfliche Visitation des Arbeitsfeldes Seelsorge war von Beginn an als wissenschaftlich begleitete Studie angelegt. Sie ging in Konzeption und Umfang weit über das übliche Format von Visitationen in der EKM hinaus.

Die Visitation bestand aus zwei Teilprojekten. Zwölf Teams aus je zwei Mitgliedern der Visitationsgruppe besuchten insgesamt 72 Seelsorgende und sprachen mit ihnen über ihre Seelsorgepraxis. Dabei entstanden 269 Stunden Audioaufnahmen, die zu ca. 2000 Seiten Text-Material transkribiert wurden. Begleitend wurde eine quantitative Online-Umfrage durchgeführt, an der 275 Personen teilnahmen.
Die Planung, Durchführung und Auswertung der Visitation wurde durch Mitarbeitende der Friedrich-Schiller-Universität Jena und weitere Fachpersonen aus Wissenschaft und Praxis begleitet. Die Interviews wurden nach wissenschaftlichen Standards geführt und ausgewertet. Insgesamt waren über 40 Personen an der Auswertung beteiligt.

Die Ergebnisse der Seelsorge-Visitation werden der III. Landessynode auf ihrer Herbsttagung vom 20.-23. November 2024 in Erfurt vorgestellt. Die wissenschaftliche Auswertung zur Visitation erscheint als Open-Source-Veröffentlichung in der Reihe ‚Studien zur Theologie der Spiritualität‘ der Arbeitsgemeinschaft Theologie der Spiritualität.

Ab dem 22. November können Sie an dieser Stelle den Abschlussbericht der Visitationsgruppe und die Ergebnisse der wissenschaftlichen Auswertung einsehen.

Dr. Magdalena Steinhöfel
Projektstelle Seelsorgevisitation
E-Mail: magdalena.steinhoefel@ekmd.de
Telefon: 0157 – 35 22 49 53

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