PM 069 | 10.05.2023
Thesen zum Aufwachsen von Jugendlichen in Ostdeutschland

Echte Möglichkeiten zum Mitreden und Gehörtwerden sind nötig

Unter dem Titel „Von wegen anders – Jugendpolitik Ost“ hat die Evangelische Trägergruppe für gesellschaftspolitische Jugendbildung neun Thesen zum Aufwachsen von Jugendlichen in Ostdeutschland veröffentlicht. Das Projekt, an dem die Evangelischen Akademien aus Sachsen-Anhalt und Thüringen beteiligt waren, brachte in den vergangenen zwei Jahren Fachkräfte der Jugendarbeit mit politischen Entscheidungsträgern ins Gespräch und fragte nach Zielen und Herausforderungen für die einzelnen Regionen Ostdeutschlands. Die wichtigsten Ergebnisse sind in einem Thesenpapier zusammengefasst: www.politische-jugendbildung-et.de/projekt/von-wegen-anders/.
Im Rahmen eines parlamentarischen Gesprächsfrühstücks mit Abgeordneten des Deutschen Bundestags werden die neun jugendpolitischen Thesen am 11. Mai in Berlin vorgestellt und diskutiert.

„Auch wenn sich die Lebensverhältnisse in Ost und West immer mehr angleichen, unterscheidet sich das Aufwachsen junger Menschen noch in vielen Details. Beispielsweise ist die Wahrscheinlichkeit, in Ostdeutschland in einem Umfeld aufzuwachsen, in dem antidemokratische und autoritäre Positionen vorherrschen, ungleich größer. Gleichzeitig fehlt es oft an Möglichkeiten der Freizeitgestaltung. Jetzt ist Zeit für eine Bestandsaufnahme und gezielte Förderung für junge Menschen in Ostdeutschland, ohne eine Dramatisierung oder Reduzierung auf einige wenige Aspekte“, erklärt Tobias Thiel, Studienleiter für gesellschaftspolitische Jugendbildung an der Evangelischen Akademie Sachsen-Anhalt.

In dem Thesenpapier heißt es unter anderem: „Unsere Gesellschaft hat mit globalen Veränderungen und Herausforderungen zu tun, wie der Bewältigung der Corona-Pandemie und der ergriffenen Maßnahmen, dem Umgang mit der drohenden Klima-Katastrophe, dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Hinzu kommen zahlreiche mittelfristige Transformationsprozesse wie Digitalisierung, Mobilitätswende, gleichwertige Lebensstrukturen in Stadt und Land sowie Ost- und Westdeutschland“. Gleichzeitig wirke der Transformationsprozess mit und um den Mauerfall immer noch nach, seine Folgen seien auch für junge Menschen spürbar.

„Um Selbstwirksamkeit zu erfahren und ihr Engagement leben zu können, benötigen junge Menschen weniger verzweckte oder funktionalisierte Räume als vielmehr solche, die sie voraussetzungsarm nutzen und selbst gestalten können. Das Vorhandensein konkreter Orte wie Jugendzentren und selbstgestalteter Räume geht dabei Hand in Hand. Ebenso brauchen sie echte Möglichkeiten und die ernst gemeinte Einladung, mitzureden und bei allen sie betreffenden Themen gehört zu werden“, heißt es weiter.
Dies beginne bei der Gestaltung des öffentlichen Raums. Der Eindruck fehlender Orte in der bedeutsamen Phase des Aufwachsens präge die Zukunftsplanung junger Menschen. Fänden sie keine Orte, die sie frei nutzen und gestalten können, sei dies auch ein Grund für die Abkehr von der Heimatregion zum Beispiel bei der Ausbildungs- und Arbeitsplatzsuche.

So ergab eine Umfrage im Jahr 2022 unter Jugendlichen, dass sich in Lutherstadt Wittenberg junge Menschen freie selbstorganisierte Räume (Chillen, Sport, Band, Disko) am Samstagabend wünschen. Aufgrund der prekären Beschäftigung der Fachkräfte der Jugendhilfe stehen aber fast keine Jugendräume außerhalb der Dienstzeiten zur Verfügung. Jugendeinrichtungen sind am Wochenende grundsätzlich geschlossen. In Erfurt fehlt es im Sommer an Orten, an denen junge Menschen sich abends draußen treffen können, ohne Anwohner zu stören. So kommt es häufig zu Konflikten mit der Polizei. Der Stadtjugendring sucht seit langem erfolglos nach einer Lösung.

„Spezifische regionale Entwicklungen, die das Aufwachsen junger Menschen enorm beeinflussen, dürfen auch bundespolitisch nicht ignoriert oder als ,Sache‘ einzelner Bundesländer abgetan werden. Insbesondere dann, wenn die strukturelle Absicherung der Kinder- und Jugendarbeit und der Strukturen der Jugendhilfe über Jahre eher schwach aufgestellt ist, oder rechtsextreme Subkulturen sich in bestimmten Regionen weitgehend ungehindert verfestigen konnten, müssen diese regionalen Entwicklungen auch bundespolitisch thematisiert werden“, heißt es in dem Papier weiter.

Hintergrund:
„Von wegen anders – Jugendpolitik Ost“ ist ein Projekt der Evangelischen Trägergruppe für gesellschaftspolitische Jugendbildung (et), gefördert aus Mitteln des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ). Die Evangelische Trägergruppe ist eine bundesweit tätige Organisation der politischen Jugendbildung der Arbeitsgemeinschaft der Evangelischen Jugend in Deutschland e. V. (aej) und der Evangelischen Akademien in Deutschland e. V. (EAD).

RÜCKFRAGEN

Tobias Thiel, 01522 1942157


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