PM 100 | 23.09.2013
2. Mitteldeutscher Kirchentag endet mit Abschlussgottesdienst in Jena

Redner riefen zur Solidarität mit Flüchtlingen auf
6.000 Besucher, 700 Mitwirkende, 100 Bläser, 15.000 Trinkbecher

Mit einem Festgottesdienst auf dem Eichplatz in Jena endet heute (22. September, 16 bis 17.30 Uhr) der 2. Mitteldeutsche Kirchentag. Das größte Treffen der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland (EKM) unter dem Motto „Mit einem Fuß im Paradies“ war am gestrigen Samstagnachmittag eröffnet worden. Gezählt wurden insgesamt mehr als 6.000 Besucherinnen und Besucher. Der Kirchentag war ein großes Fest und diente zudem der Auseinandersetzung über wichtige gesellschaftliche Themen wie das Umsetzen von Demokratie, die Zukunft des Sozialstaats oder der Umgang mit Rechtsextremismus. Außerdem begegneten sich Menschen aus allen Teilen der fusionierten EKM, so dass der Kirchentag identitätsstiftend wirkte.

Der anglikanische Friedensaktivist Paul Oestreicher wird in seiner frei gehaltenen Predigt im Abschlussgottesdienst dazu aufrufen, Fremde bei uns willkommen zu heißen und Asylsuchende nicht in „elende Sammelquartiere zu verbannen“. Frieden und Gerechtigkeit seien Grundpfeiler des jüdischen und christlichen Glaubens, und deshalb wäre eine unpolitische Predigt eine Abkehr von Jesus, so Oestreicher. Er erinnert an eine Predigt von Jesus, wonach Gott sein Volk nicht mehr liebe als andere Völker. „Das gilt gleichermaßen für uns Christen heute.“ Deshalb sollten wir Fremde willkommen heißen und Neonazis, „deren Ideen wir zu Recht bekämpfen“, nicht einfach verurteilen. „Jesus erinnert uns daran, dass wir auch sie, unsere und seine Feinde, zu lieben haben. Das ist ein hartes Brot“, so der Prediger.

Wolfgang Musigmann vom Kirchentags-Ausschuss nennt in einem „Wort zum Kirchentag“ als wichtiges Fazit des Kirchentages den Wunsch nach einem verantwortungsvollen Leben und Wirtschaften, nach einem artgerechten, nachhaltigen Umgang mit unseren Mitgeschöpfen, das Einbinden von hilfsbedürftigen und älteren Menschen in die Gesellschaft, Spiritualität für die Suche nach einem erkennbaren Lebenssinn, Solidarität mit den Menschen weltweit sowie den Einsatz für gesellschaftliche Teilhabe und mehr Demokratie. Für die musikalische Umrahmung des Gottesdienstes sorgen unter anderem 100 Bläser aus Posaunenchören und der Projektchor des Pop-Spirituals „Jesus“. Die Kollekte ist für die Arbeit mit syrischen Flüchtlingen bestimmt.

Landesbischöfin Ilse Junkermann warnte Kirchengemeinden davor, sich abzuschließen und sich für die besseren Menschen zu halten, weil sie sich näher bei Gott wähnen „und die Not vor ihrer Tür nicht mehr sehen“. Ebenso dürfe die Kirche nicht abgehoben „auf hehren, hohen dogmatischen Vorstellungen beharren“, wie zum Beispiel bei der Kritik am Familienpapier des Rates der EKD, „und dabei die unten, die dies längst nicht mehr leben (können), ganz aus unserem Blick verlieren, die Menschen, die doch auch, in welcher Form sie auch Familie sind, Unterstützung brauchen!“ Auch vor der Not, „die wir mit unserem Lebensstil in der weiten Welt anrichten“, dürften wir uns nicht in der Festung Europa verschanzen, „und die abweisen, denen wir das Nötigste zum Leben nehmen“.

Im Podium „Geschwister der Schöpfung“ rief Junkermann dazu auf, dass „der Mensch zu seinen Grenzen zurückfinden und sich als Teil der Schöpfung Gottes und als Mitgeschöpf mit allem Lebendigen verstehen muss“. Dazu gehöre das Finden eines „Maßes des Menschlichen“ und einer Verbundenheit mit allem. Dr. Ulrich Seidel, Bundesvorsitzender der „Aktion Kirche und Tiere“, rief bei dem Podium die Kirchen dazu auf, für vegetarische oder vegane Lebensformen als „gesunde, tier- und mitweltschonende Ernährung“ und Lösung für die Welternährungsprobleme zu werben.

Im Podium „Schöpfungsbewahrend anders leben – Gebot der Stunde nicht nur für Christen?“ rief die Landesbischöfin zu einem Wandel auf: Vom Wachstumsideal im persönlichen Leben und als Ziel von Gesellschaft und Wirtschaft hin zu einem Ideal von „Bebauen und Bewahren“, von einem radikalen Individualismus und Egoismus hin zu einem Ja zu Beziehungen und Eingebundensein in ein größeres Ganzes, ohne dabei Individualität aufzugeben.

Dr. Ellen Ueberschär, Generalsekretärin des Deutschen Evangelischen Kirchentages, hatte in ihrer Predigt im Eröffnungsgottesdienst am gestrigen Samstag das Paradies als „tiefe Quelle liebevollen, angstfreien Umgangs miteinander“ sowie „als Bild der Hoffnung, dass die Liebe triumphiert“ charakterisiert. „Das Himmelreich ist da, wo wir nicht täglich meckern und maulen, sondern loben und danken. Das Himmelreich fängt da an, wo Menschen sich verbünden, den Hass überwinden“, appellierte sie und rief dazu auf, die traumatisierten Menschen aus Syrien willkommen zu heißen und ihnen in unserem Land einen sicheren Ort zu bieten, und sie nicht in Container oder Baracken zu stecken. „Wenn wir uns verbünden gegen rechte Parolen, gegen Angstmacherei und gegen das Boot-ist-voll-Gerede, dann berühren sich Himmel und Erde“, so Ueberschär.

Dem Thema „Mehr Demokratie leben!“ widmete sich Friedemann Bringt, Geschäftsführer der Bundesarbeitsgemeinschaft Kirche und Rechtsextremismus. In einem Vortrag bezog er sich auf den deutschen Philosophen Jürgen Habermas, wonach das Wesen der Demokratie darin besteht, dass „mündige Bürger die Einrichtung ihres gesellschaftlichen Lebens selbst in die Hand nehmen“. Laut Bringt zwingen uns „die marktregulierte Wirtschaft und der bürokratische Verwaltungsstaat“ durch ihre Steuerungsinstrumente Geld und Macht eine von unseren kulturellen Werten losgelöste Handlungslogik auf. „Krankenhäuser und Schulen sind nun nicht mehr Orte des Allgemeinwohls, sondern mutieren zu Wirtschaftsunternehmen. Der demokratische Rechtsstaat schützt nun nicht mehr die Grundrechte aller Bürger, sondern sich und sein Verwaltungshandeln selbst“, so der Redner. Er rief seine Zuhörer dazu auf, Demokratie in Familie, Schule, Kirchengemeinden und Kommunen einzu üben und im Alltag der Menschen erlebbar zu machen.

Im „Zentrum Älterwerden“ wurde die Thüringer Sozialministerin Heike Taubert aufgefordert,
eine konzertierte Aktion zur Demenz zu starten. Das Thema müsse enttabuisiert und nicht nur mit dem medizinisch-pathologisierenden Blick gesehen werden. „Das Thema entwickelt sich vor unseren Augen zu einer bedeutenden sozialen, politischen, ökonomischen und humanitären gesellschaftlichen Herausforderung. Darauf sind wir nicht vorbereitet, und wir können nicht ernsthaft wollen, dass alle in Heimen verschwinden“, so Zentrums-Leiterin Claudia Rühlemann. „Wir brauchen Impulse für neue soziale Beziehungen, wenn statistisch gesehen bald jeder vierte Deutsche betroffen sein wird.“ In dem Zentrum wurden Projekte vorgestellt, die soziale Teilhabe für Menschen mit Demenz und ihren Angehörigen ermöglichen.

Der Mitteldeutsche Kirchentag war ein Höhepunkt der EKM-Kampagne „Sie haben die Wahl“ mit Schwerpunkt auf den Themen Demokratie und Ehrenamt. Auf dem „Markt der Möglichkeiten“ präsentierten sich unter anderem Vertreter von Initiativen, die sich für Frieden, Gerechtigkeit und die Bewahrung der Schöpfung engagieren, beispielsweise von Oikokredit und der Initiative „Bürger Energie Jena“. In den Themenzentren „Kirche, Gemeinde und Diakonie“, „Gesellschaft, Demokratie, Toleranz“, „Geschwister der Schöpfung“, „Älter werden“ und „Spiritualität und Lebenswirklichkeit“ wurden Podien, Workshops und Bibelarbeiten angeboten. Während des Familien- und Kinderkirchentages wurde unter anderem ein Baum im Paradiespark gepflanzt. Außerdem gab es einen Jugendkirchentag, einen Osteuropatag, und zahlreiche kulturelle Angebote. Zu den weiteren ptrominetne Gästen hastten unter anderem auch Altbischof Christoph Kähler, Thüringens Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht und Ministerpräsident a.D. Reinhard Höppner gehört.

In den Kirchentag integriert war ein Gehörlosengemeindetag. Zu den Angeboten gehörten ein Gottesdienst, Stadtführungen, Poesie und Begegnungen in Gebärdensprache. Außerdem wurden der Eröffnungs- und Abschlussgottesdienst sowie Bibelarbeiten mit Gebärdensprache geplant. Dazu Andreas Konrath, Schwerhörigen- und Gehörlosen-Seelsorger der EKM: „Wir waren zum ersten Mal mittendrin statt nur dabei. Früher hatten Gehörlose das Gefühl, dass sie willkommen sind, aber nicht dazu gehören. Das haben wir - getreu dem Motto des Kirchentages - diesmal ändern können: Gehörlose weg vom Rand in die Mitte, eben mit einem Fuß im Paradies. Die Gehörlosen-Kultur und -Gemeinschaft ist eine Bereicherung für die EKM. Das Reich Gottes ist inklusiv. Es beinhaltet Teilhabe und -gabe aller – auch der Gebärdensprachnutzer. Es gleicht einer bunten Wiese in seiner Vielfalt.“

Das Gelingen des Kirchentages war auch eine große organisatorische Herausforderung für die etwa 700 Mitwirkenden. Als Beispiel: Im Zentralen Kirchentagscafé „Für Leib & Seele“ auf dem Kirchplatz wurden unter anderem 15.000 Trinkbecher bereitgehalten, für das Abendmahl im Abschlussgottesdienst waren 50 Tische nötig, 150 Personen teilten das Abendmahl jeweils zu dritt aus.

Hintergrund:
Landesweite Kirchentage gibt es seit 1963 regelmäßig in Erfurt (nach dem Mauerbau wurde im Osten eine eigene Kirchentagstradition begründet). 2009 wurde in Weimar der 1. Mitteldeutsche Kirchentag anlässlich des Jubiläums 20 Jahre friedliche Revolution veranstaltet. Das Konzept der Mitteldeutschen Kirchentage: Ein 24 h-Kirchentag, der sich an das Schwerpunktthema des Jahres bindet und dezentral veranstaltet wird.

Weitere Informationen im Internet: www.mitteldeutscher-kirchentag.de

Manuskripte von Predigten, Podien und Worte zum Kirchentag:

 

RÜCKFRAGEN

Susanne Sobko, 0162-2048755, oder Ralf-Uwe Beck, 0172-7962982

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