PM 010 | 31.01.2022
Landesbischof entschuldigt sich stellvertretend bei der queeren Gemeinschaft
BEI RÜCKFRAGEN
Jennifer Scherf, 0160-91604483
„Kirche hat bis heute Leid mit verursacht und toleriert“
In einem „GottesDienst on Demand“ zum Queer-History-Month legt Friedrich Kramer, Landesbischof der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland (EKM), ein Schuldbekenntnis gegenüber der queeren Gemeinschaft ab. Er entschuldigt sich stellvertretend „für all das Leid für Menschen auf Grund ihrer sexuellen Orientierung und geschlechtlichen Identität, das seitens der Kirche bis heute mit verursacht und toleriert wurde“. Zudem wirbt er für Umkehr und Erneuerung. Der Gottesdienst der OnlineKirche der EKM mit dem Motto „Vielfalt und Glaube“ ist ab morgen (1. Februar) den ganzen Monat auf der Internetseite abrufbar: www.onlinekirche.net.
Die Landeskirche gehe zwar offen mit Betroffenen um, sagt Onlinepfarrerin Jennifer Scherf, die mit Frau und Kind in Leipzig lebt und damit selbst zur queeren Gemeinschaft gehört. „Ich bin dankbar, in einer Kirche arbeiten zu können, die sich schon seit Jahren stark macht für die Rechte aller Menschen“, so Scherf. Die Richtlinien der EKM und auch der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) seien da grundsätzlich sehr klar. Dennoch gebe es Landeskirchen und überall auch Gemeinden, Christinnen und Christen, die diese Offenheit nicht leben. „Deshalb ist es nötig, an dem Thema dran zu bleiben und den Wandel stetig neu mit anzustoßen. Die Vergangenheit von Kirche ist schwer belastetet. Dafür gilt es, immer wieder Verantwortung zu übernehmen und zu erinnern, und dafür will Landesbischof Kramer mit seinem Schuldbekenntnis ein symbolisches Zeichen setzen“, betont die Onlinepfarrerin.
Den Gottesdienst sieht sie auch als Statement der Dankbarkeit dafür, dass das Thema LGBTQI* heute kein Tabu-Thema mehr in der Kirche sei. „Wir wollen die Vielfalt feiern und gleichzeitig den Erfahrungen von queeren Menschen Raum geben; wir wollen neue Wege und Errungenschaften feiern und Erinnerung wach halten.“ Gleichzeitig solle der weitere Wandel angestoßen werden. „Kirche sollte ein sicherer Ort sein für alle Menschen. Es kann nicht sein, dass queere Menschen Angst haben müssen, wenn sie seelsorgerlichen Beistand und spirituelle Gemeinschaft suchen“, betont die Pfarrerin.
Das Schuldbekenntnis beginnt mit dem Satz: „Ich bekenne für unsere Kirche, wir haben uns schuldig gemacht, indem wir die Vielfalt der göttlichen Schöpfung nicht wahrgenommen und wertgeschätzt haben, sondern sie abgewertet haben“. Der Bischof entschuldigt sich für das Beitragen und das Schweigen zu Ausgrenzung, Diskriminierung, Leid, Verfolgung bis hin zu Verletzung und Ermordung in der Vergangenheit. Er bittet um Vergebung und ruft zu einem Wandel im Denken und Tun auf.
Den Gottesdienst gestaltet Onlinepfarrerin Jennifer Scherf gemeinsam mit dem Landesbischof, für Musik sorgt die Instrumentalgruppe Escola Popular. Queere Menschen sprechen von ihren Erfahrungen in Kirche – positiv und negativ. „Diese Menschen bei den Aufnahmen zu begleiten, hat mich sehr berührt, und ich bewundere ihren Mut, darüber öffentlich zu sprechen“, sagt Scherf.
Zu den Gottesdienst-Modulen, die auf der Homepage der OnlineKirche gemeinsam und einzeln abrufbar sind, gehört auch ein Kurzvideo des Bischofs, indem er erklärt, warum Homosexualität keine Sünde ist und der biblische Kanon dafür auch keine Begründung bietet.
Das Schuldbekenntnis von Bischof Kramer im Wortlaut:
Ich bekenne für unsere Kirche, wir haben uns schuldig gemacht, indem wir die Vielfalt der göttlichen Schöpfung nicht wahrgenommen und wertgeschätzt haben, sondern sie abgewertet haben.
Wir bekennen, dass wir gleichgeschlechtlich Liebende ausgegrenzt und diskriminiert haben und dies auch heute noch an vielen kirchlichen Orten tun.
Wir haben Menschen abgewiesen und ins Abseits gedrängt, ihr Leben psychisch und körperlich zerstört.
Wir haben in der Geschichte zu Leid und Verfolgung von Menschen auf Grund ihrer sexuellen Orientierung und ihrer geschlechtlichen Identität beigetragen und zu Verletzungen und Ermordungen geschwiegen.
Wir sind an Menschen und an Gott schuldig geworden, weil wir uns nicht vom Geist Gottes und der Liebe haben leiten lassen.
Wir bitten um Vergebung und wollen einen stetigen Wandel anstoßen, umkehren und neu beginnen.
Wir haben gelernt und verändert. Aber nicht genug. Nicht genug.
Wir sind Liebe, Anerkennung und Respekt schuldig geblieben und dies tut uns leid. Es tut mir leid.
Für alles, was ich gesagt und getan habe, was verletzend war und zu diesem Klima beigetragen hat, bitte ich um Vergebung.
Lasst es uns besser machen.
Dazu helfe uns Gott.
Amen
Hintergrund:
LGBTQI ist eine Abkürzung für L esbian, G ay, B i, T rans, Q ueer und I ntersex, also für sexuelle Orientierungen und Formen von Identitäten. Das * steht für alle weiteren Möglichkeiten.
Der Begriff „queer“ wird heute positiv als Selbstbezeichnung gebraucht, vor allem von Menschen, die ihre Identität als „außerhalb der gesellschaftlichen Norm“ ansehen. Außerdem kann queer als Überbegriff für Menschen benutzt werden, die nicht in die romantischen, sexuellen, geschlechtlichen Normen der Gesellschaft passen.
Der Queer History Month findet jedes Jahr in den meisten Ländern im Februar statt. Er erinnert an die Geschichte der queeren Community, die oft vergessen oder unsichtbar gemacht wird.
On Demand („auf Abruf“) ist ein Begriffszusatz für Dienstleistungen, Waren oder Ähnliches, der auf eine zeitnahe Erfüllung von Anforderungen beziehungsweise Nachfragen hinweisen soll.
Weitere Informationen im Internet: www.onlinekirche.net
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Jennifer Scherf, 0160-91604483