25.03.2022
Flüchtlinge: Experte gegen Verteilung nach dem Königsteiner Schlüssel
Berlin (epd). Der Arbeitsmarktforscher Herbert Brücker rät davon ab, die Flüchtlinge aus der Ukraine in Deutschland weiter nach dem Königsteiner Schlüssel auf die Bundesländer zu verteilen.
Nach den Erfahrungen aus dem verstärkten Zuzug von Flüchtlingen 2015 sollte man wissen, dass dies der falsche Weg sei, sagte der Experte vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in Nürnberg am Donnerstag bei einer Veranstaltung des Mediendienstes Integration.
Seiner Ansicht nach sollte man die Menschen nicht wie in der Vergangenheit vermehrt in die strukturschwachen Regionen mit hohen Arbeitslosenquoten schicken, nur weil die Städte bei der Wohnraumbeschaffung überlastet seien. „Wir schlagen vor, Arbeitsmarkt- und andere Integrationskriterien zu berücksichtigen.“ Sein Institut arbeite derzeit an einer politischen Alternative zur Verteilung anstelle des Königsteiner Schlüssels, der Wirtschaftskraft und Bevölkerungsanzahl eines Bundeslandes als Aufnahmeindex festlegt.
Brücker verwies darauf, dass es zunächst darum gehe, die vielen Menschen im Zuge der Nothilfe unterzubringen, „die Frage der Arbeitsmarktintegration ist da erst mal nachrangig“. Noch habe man keine belastbaren Daten über die demografische Zusammensetzung der Flüchtlinge, doch sei bereits abzusehen, dass es ganz überwiegend Frauen mit Kindern seien, die nach Deutschland kommen. „Das ist eine Herausforderung für die Jobintegration, denn auch in der Ukraine gibt es ein großes Gendergefälle in der Erwerbstätigkeit.“ Dazu komme, dass die Frauen mit Kindern hier zunächst gewaltige Betreuungsaufgaben hätten.
Die Frage der Bildung, die Betreuung der geflüchteten Kinder in Kitas und die Einschulung der Mädchen und Jungen sei ganz zentral dafür, dass die Arbeitsmarktintegration der Frauen überhaupt funktionieren könne, so Brücker, der auch Direktor des Instituts für empirische Integrations- und Migrationsforschung (BIM) der Berliner Humboldt-Universität ist. Zugleich sei sehr positiv, dass die Flüchtlinge aus der Ukraine „im Vergleich zu anderen Migrantengruppen über ein sehr hohes Bildungsniveau verfügten“.
Dennoch sei davon auszugehen, „dass die Jobintegration am Anfang wegen der noch unzureichenden Betreuung der Kinder und Jugendlichen nicht so schnell anlaufen wird“, sagte der Forscher. Hauptproblem sei, dass es Zeit brauche, bis die Neuankömmlinge ausreichend gut Deutsch sprechen und so überhaupt Chancen auf deinen Job hätten.
Brücker verwies zudem auf Probleme bei der Registrierung von Flüchtlingen, die die Basis für alle weiteren Maßnahmen zur Integration sei. Noch seien nach ihm vorliegenden internen Daten nur 25 Prozent der Flüchtlinge registriert: „Bis dahin existieren diese Menschen für die Behörden gar nicht.“ Die Registrierung funktioniere bislang nur schlecht und „man fragt sich, ob da hinreichend gelernt worden ist aus den Ereignissen 2015“.
Immobilienverband: Verteilung der Flüchtlinge am Bedarf orientieren
epd-Gespräch: Lukas Philippi
Berlin (epd). Der Evangelische Immobilienverband Deutschland hat sich für eine am Bedarf der Landkreise und Regionen orientierte Verteilung von Ukraine-Flüchtlingen in Deutschland ausgesprochen. „Ich hoffe, die Politik hat ihre Lehren aus der Situation von 2015 und den hohen Flüchtlingszahlen damals gezogen“, sagte der geschäftsführende Vorstand des Verbandes, Dennis Beyer, in Berlin dem Evangelischen Pressedienst (epd).
„Es reicht nicht, über das Verteilverfahren des Königsteiner Schlüssels eine bestimmte Anzahl an Geflüchteten den Bundesländern zuzuweisen.“ Wichtig sei jetzt, einzelne Regionen nicht zu überfordern, sondern nach qualitativen Gesichtspunkten wie Infrastruktur, zivilgesellschaftlichem Engagement oder Arbeitskräftebedarf Flüchtlinge zu verteilen: „Das Ahrtal zum Beispiel hat nach der Flutkatastrophe gerade andere Probleme zu bewältigen.“
Neuankömmlinge müssten die Chance bekommen, Fuß zu fassen oder wenigstens sich weiter orientieren können, sagte Beyer: „Unter dem Strich heißt das, der Königsteiner Schlüssel, der ja vor allem die Finanzkraft und Bevölkerungszahl eines Landes zugrunde legt, sollte um qualitative Merkmale ergänzt werden.“ Es gehe darum „einen Mehrwert zu schaffen - für die Menschen, die neu zu uns gekommen sind, wie auch für die Gesellschaft insgesamt.“
Weiter plädierte Beyer dafür, „keine Ghettos entstehen zu lassen“. „Das hat Deutschland in den zurückliegenden Jahrzehnten in der Städtebau- und Integrationspolitikpolitik weitgehend gut hinbekommen: Also nicht 1.000 Flüchtlinge in ein Quartier stecken; dann hat zivilgesellschaftliches Engagement kaum noch Chancen, sinnvoll zu begleiten.“ Vielmehr sollten die Menschen über das Stadtgebiet verteilt werden.
Beyer zeigte sich überzeugt, „dass einige Regionen im ländlichen Raum sehr davon gewinnen können, wenn dort wieder mehr Menschen angesiedelt werden“. „Sie bringen unterschiedlichste Qualifikationen mit.“ Dann würde sich auch der Aufbau von Infrastrukturen wieder lohnen. Dies sei eine Aufgabe für Bund und Länder. Es gebe etliche Regionen etwa mit Fachkräftemangel.
Der Evangelische Immobilienverband Deutschland zählt bundesweit insgesamt rund 40.000 Wohnungen im Eigenbestand seiner Mitglieder. Hinzu kämen schätzungsweise rund 30.000 Erbbaurechte. Zu seinen Mitgliedern zählen evangelische Wohnungsunternehmen, diakonische Einrichtungen, Landeskirchen, Kirchenkreise und Stiftungen.
Beyer zufolge engagieren sich aktuell viele Kirchengemeinden und diakonische Einrichtungen in der Ukraine-Hilfe: „Es wird momentan viel Wohnraum kurzfristig bereitgestellt.“ Dabei würden die Erfahrungen aus dem Jahr 2015 helfen, als Wohnraum für syrische Flüchtlinge gebraucht wurde.
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