18.11.2021
„Aus dem Grenzland erreicht uns Jesu Stimme“ | Gemeinsamer Appell angesichts der Not im polnisch-belarussischen Grenzgebiet
Angesichts der wachsenden Not tausender Menschen im polnisch-belarussischen Grenzgebiet und der Zuspitzung des politischen Konflikts, rufen die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) und die Arbeitsgruppe „Christliche Vision“ des Koordinierungsrates für Belarus gemeinsam alle politisch Verantwortlichen auf, unverzüglich humanitäre Hilfe zu ermöglichen, geltendes Recht einzuhalten und Menschen nicht zum Spielball von Politik zu machen.
„Das Vorgehen des belarussischen Machthabers ist kriminell und zynisch. Doch der politische Kampf um Fernsehbilder und Deutungshoheit verdeckt das Leid von tausenden Männern, Frauen und Kindern. Sie sind zwischen die Fronten geraten und brauchen dringend Hilfe. Sie benötigen Schutz und sie haben Rechte,“ sagt EKD-Auslandsbischöfin Petra Bosse-Huber. „Menschen sind keine Waffen. Europa sollte daher auf die Erpressungsversuche nicht reagieren, indem es selbst Recht und Humanität über Bord wirft. Als Christinnen und Christen glauben wir an den, der dorthin gegangen ist, wo Menschen schutzlos und in Not sind: in der Kälte, im Schlamm, zwischen Stacheldraht. Deswegen können wir als Kirche angesichts dieser Not nicht schweigen. Die Staaten der Europäischen Union müssen die Menschen unverzüglich aufnehmen, denn der Winter ist bereits da und ihnen droht der Tod durch Erfrieren“, so die Auslandsbischöfin.
Natallia Vasilevich, Theologin und Sprecherin der Arbeitsgruppe „Christliche Vision“ des Koordinierungsrates für Belarus betont: „Die Frage im Gleichnis vom barmherzigen Samariter – Wer ist mein Nächster? – ist keine Frage von Alternativen. Es ist wichtig, alle Gruppen und Einzelpersonen zu sehen, die unter der Ungerechtigkeit und den Manipulationen des diktatorischen Regimes leiden: sei es die belarussische Bevölkerung oder diejenigen, die das Land nur durchreisen. Sie alle sind Menschen. Ob als Migranten im Schlamm, als politische Gefangene, die gefoltert werden, oder auch das medizinische Personal, das unter der Corona-Leugnung des Regimes leidet: Sie alle sind Menschen in Belarus, die unter Bedrohung und enormem Druck zu überleben versuchen. Sie alle sind unsere Nächsten, brauchen Aufmerksamkeit und Unterstützung, Gerechtigkeit und Barmherzigkeit, den Schutz ihrer Menschenwürde und ihrer Rechte.“
Hintergrund zur Lage
Das Regime von Machthaber Lukaschenko lenkt seit Sommer 2021 Menschen aus Krisengebieten, insbesondere Syrien, dem Irak und Afghanistan, über Belarus in Richtung Europäische Union. Offensichtliches Ziel ist es, eine Aufhebung der nach den gefälschten Präsidentschaftswahlen am 9. August 2020 und der brutalen Niederschlagung der Protestbewegung verhängten internationalen Sanktionen zu erzwingen. Ebenso soll von den anhaltenden Repressionen in Belarus abgelenkt werden, wo täglich neue Menschen verhaftet und in politischen Strafverfahren zu Haftstrafen verurteilt werden.
Die EU und ihre Mitgliedstaaten in der Nachbarschaft zu Belarus haben darauf mit einer Abschottung ihrer Grenzen reagiert. Insbesondere Polen greift auch zu völkerrechtswidrigen Zurückweisungen („Push-Backs“). Belarussische Einsatzkräfte sperren ihrerseits die Menschen in einem engen Korridor an der Außengrenze ein oder treiben sie zur gewaltsamen Überwindung der Absperranlagen an. Im Grenzgebiet zwischen Polen und Belarus irren Tausende Schutzsuchende in den Wäldern umher. Sie hungern und frieren, sind eingekesselt oder werden in provisorischen Lagern in der Nähe von Grenzübergängen zusammengepfercht.
Auf polnischer Seite ist das Grenzgebiet zur Sperrzone erklärt worden. Hilfsorganisationen, Ärztinnen und Ärzte, Anwälte und Anwältinnen, unabhängige Medien und Menschenrechtsorganisationen haben keinen Zugang. Nach offiziellen Angaben sind bereits rund ein Dutzend Menschen an der Grenze zwischen Polen und Belarus gestorben sein, zuletzt erfror ein 14-jähriger Junge. Hilfsorganisationen gehen von deutlich mehr Toten aus.
Der gesamte Appell kann unter www.ekd.de/appell-belarus heruntergeladen werden.