23.08.2021
Bischof Kramer fordert nach Afghanistan Konsequenzen

Erfurt (epd). Nach der Machtübernahme der Taliban in Afghanistan hat der Bischof der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland (EKM), Friedrich Kramer, innenpolitische Konsequenzen gefordert.

Auslandseinsätze der Bundeswehr dürften nur noch eine absolute Ausnahme sein, sagte Kramer dem Evangelischen Pressedienst (epd) in Erfurt: „Übernahme von Verantwortung besteht nicht darin, dass man versucht, Demokratien in anderen Ländern zu installieren.“

Es sei deutlich geworden, dass eine starke Militärmacht wie die USA vieles unter der Decke halten könne. Aber das bilde nicht die realen und auch mentalen Wirklichkeiten ab. „Afghanistan zeigt, dass ein sogenanntes Nation-Building mit militärischen Mitteln nicht funktioniert“, sagte Kramer. Die Aussage, die Sicherheit Deutschlands werde am Hindukusch verteidigt, bezeichnete er als „schlicht falsch“. Die damalige Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Margot Käßmann, habe mit ihren Worten „nichts ist gut in Afghanistan“ 2010 in der Dresdener Frauenkirche das Grundthema richtig benannt. Sie sei „auf erschütternde Weise“ bestätigt worden.

Der Bischof räumte ein, dass auch bei den evangelischen Christen die Themen Frieden und Konfliktbewältigung ohne Waffen zuletzt in den Hintergrund traten - auch, weil „in unserer Erregungsgesellschaft“ anderes nach vorn drängte. Für Christen hieße es jetzt, ihre Friedengebete zu verstärken. Das Thema dürfe nicht nur ein paar Friedensbewegte umtreiben. „Frieden ist unsere grundkirchliche Aufgabe und damit auch jeden Sonntag Thema im Gottesdienst“, erklärte Kramer. Er verwies darauf, dass die mitteldeutsche Synode zuletzt darüber diskutierte, wie sie eine Kirche des gerechten Friedens werden könne.

Kramer rechnet mit keiner größeren Flüchtlingswelle. Es werde auch eine Aufgabe der Kirche sein, „deutlich zu machen, dass wir unsere afghanischen Helfer jetzt unterstützen müssen“. Es stehe wohl außer Frage, dass vielen Gebildeten und Liberalen am Ende nur die Flucht bleibe. „Denen können wir die Tür nicht zuschlagen. Das ist gar nicht diskutierbar für mich“, unterstrich der Theologe.

Im innerdeutschen christlich-muslimischen Dialog warnte er davor, blauäugig sein. Aber es gehe nicht ohne Verständigung, ohne das Ausräumen gegenseitiger Verdächtigungen. Das gelte auch für den islamischen Religionsunterricht. „Ich halte ihn an den Schulen für sehr, sehr zielführend und unterstütze das Kooperationsmodell des Staates bei der Lehrerausbildung“, erklärte der Bischof.

 

Bischof Kramer: Hilfe für gefährdete Afghanen ist nicht diskutierbar

epd-Gespräch: Dirk Löhr

Erfurt (epd). Nach der Machtübernahme der Taliban in Afghanistan hat der Bischof der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland (EKM), Friedrich Kramer, innenpolitische Konsequenzen gefordert. Auslandseinsätze der Bundeswehr dürften nur noch eine absolute Ausnahme sein, sagte Kramer dem Evangelischen Pressedienst (epd) in Erfurt.

epd: Wie sehr haben Sie die jüngsten Entwicklungen in Afghanistan überrascht?

Kramer: Dass die Taliban über kurz oder lang die Macht zurückerobern könnten, war den meisten Beobachtern wohl klar. Dass dies aber in einer solch rasenden Geschwindigkeit geschah, ist dramatisch und erschütternd. Es zeigt auch, wie schwierig es manchmal ist, Wirklichkeiten auch als real wahrzunehmen. Es ist deutlich geworden, dass eine starke Militärmacht wie die USA vieles unter der Decke halten kann. Aber das bildet nicht die realen und auch mentalen Wirklichkeiten im Land ab. Afghanistan zeigt, dass ein sogenanntes Nation-Building mit militärischen Mitteln nicht funktioniert.

epd: Der Westen hat bei vielen Menschen in Afghanistan Hoffnungen geweckt. Was geschieht mit ihnen jetzt?

Kramer: Ich denke da gerade an die Frauen, die studieren oder sogar kurz vor einem Abschluss stehen - das ist schon alles hochdramatisch. Wir können und müssen uns stark machen für Menschlichkeit und eine unbürokratische Hilfe für all die Menschen, die uns in der Vergangenheit unterstützt haben und die jetzt das Land verlassen wollen. Es ist ganz wichtig, dass wir der Mitmenschlichkeit Raum geben und nicht in Diskussionen wie 2015 verfallen.

epd: Es hat an Warnungen seitens der Kirche - erinnert sei an die Worte von Margot Käßmann 2010 in der Dresdener Frauenkirche „nichts ist gut in Afghanistan“ - nicht gemangelt. Dennoch scheint es, als seien auch bei den evangelischen Christen die Themen Frieden und Konfliktbewältigung ohne Waffen zuletzt in den Hintergrund gedrängt worden.

Kramer: Das ist so. Auch, weil in unserer Erregungsgesellschaft andere Themen in den Vordergrund drängten. Es könnte ja sein, dass in Afghanistan jetzt ein Friede einkehrt, sicherlich kein Frieden, wie wir ihn uns vorgestellt haben. Ein Islamisches Afghanisches Emirat war nicht das, was die westliche Politik angestrebt hat. Aber es könnte sein, dass die Taliban auch dazugelernt haben, dass sie künftig auf Anschläge im Ausland, wie sie vom IS ja immer wieder verübt wurden, verzichten. Wenn sich die Gruppierungen durchsetzen, die eine Konsolidierung nach innen anstreben, dann wird man sich auf ein längeres Emirat einrichten müssen.

epd: Mit dem es sich zu arrangieren gilt?

Kramer: Leider ja. Mit dem Iran und Pakistan stehen wichtige Schutzmächte in der Region bereit. Auch China und Russland - inklusive der asiatischen Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetrepubliken - haben ihre eigenen Interessen. Sie wollen vor allem nicht, dass mögliche Unruhen über ihre Grenzen schwappen und Konflikte wie etwa mit den Uiguren befeuern. Die Taliban haben den Krieg für beendet erklärt, nicht die Amerikaner oder die Europäer. Das ist an sich schon verrückt. Das Land hat immer wieder verheerende Bürgerkriege erlebt, viele Afghanen wollen offensichtlich keine weiteren Kämpfe, sie sind kriegsmüde. Die afghanischen Soldaten sind mit ihrer modernen Kriegstechnik übergelaufen. In künftigen Gesprächen mit den Taliban, etwa um ihre Anerkennung, muss es zwingend auch um eine - zumindest teilweise - Demilitarisierung gehen. Zu viele Waffen in einem Gebiet entwickeln immer eine Eigendynamik. Es zeigt sich, dass in Afghanistan eine radikale, eine dschihadistische Auslegung des Islam triumphiert hat. Das macht Gespräche nicht gerade leicht, aber an diesen Gesprächen wird kein Weg vorbeiführen.

epd: Dennoch muss in der nächsten Zeit mit einigen Flüchtlingen aus Afghanistan gerechnet werden.

Kramer: Ich glaube gar nicht, dass so viele Menschen zu uns kommen. Vieles wird davon abhängen, welche Richtung sich bei den Taliban durchsetzt. Nichtsdestotrotz wird es auch eine Aufgabe der Kirche sein, deutlich zu machen, dass wir unsere afghanischen Helfer jetzt unterstützen müssen. Leider hat man das wohl etwas schleifen lassen; diese Menschen müssten schon längst aus Afghanistan rausgeholt worden sein. Wenn ihnen als vermeintlichen Kollaborateuren jetzt Gefahr bis hin zu Leib und Leben droht, ist es doch völlig fraglos, dass ihnen geholfen werden muss. Was die Zahl der möglichen Flüchtlinge angeht, so stellt sich die Lage anders als etwa in Bezug auf Syrien dar. Ganz einfach, weil der Krieg erst einmal vorbei ist. Viele Menschen werden nun abwägen: Kann ich unter und mit den Taliban leben? Aber es steht wohl außer Frage, dass vielen Gebildeten und Liberalen am Ende nur die Flucht bleibt. Denen können wir die Tür nicht zuschlagen. Das ist gar nicht diskutierbar für mich.

epd: In den christlichen Kirchen werden Traditionen wie Friedensgebete oder Friedendekaden gepflegt. Aber erreichen sie - wie noch zu Zeiten der Systemauseinandersetzung in der DDR - die Menschen?

Kramer: Für uns als Christen heißt es jetzt, unsere Friedengebete zu verstärken. Das Thema darf nicht nur eines sein, das ein paar Friedensbewegte umtreibt. Frieden ist unsere grundkirchliche Aufgabe und damit auch jeden Sonntag Thema im Gottesdienst. Für uns Christen kommt Frieden letztlich von Gott. Unsere Möglichkeiten sind nach unserem Verständnis zwar begrenzt, aber diese Möglichkeiten gilt es zu nutzen. Die letzte mitteldeutsche Synode hat ja nicht von ungefähr darüber diskutiert, wie sie eine Kirche des gerechten Friedens werden kann.

epd: Was macht das Thema Frieden für uns Deutsche, für die der letzte Krieg über sieben Jahrzehnte zurückliegt, so aktuell?

Kramer: Das wird doch am Beispiel Afghanistan ganz deutlich: Militärische Macht führt zu Illusionen, die letztlich nicht real sind. Es führt doch an Gesprächen und Verständigung, auch an Wertschätzung des Anderen, kein Weg vorbei. Ein Taliban ist doch per se nicht todeswürdig, er ist auch ein Mensch. Das geht in der ganzen Kampfrhetorik leider schnell unter. Deshalb müssen wir als Kirche diese Themen nach vorne bringen. 60 Deutsche sind in Afghanistan gestorben. Da wird doch wohl die Frage erlaubt sein: Wozu? Wer verantwortet diese Toten? Da müssen wir kritischer miteinander umgehen.

epd: Die Aussage, unsere Sicherheit werde am Hindukusch verteidigt...

Kramer: ...war schlicht falsch. Margot Käßmann hat das Grundthema richtig benannt und ist inzwischen auf erschütternde Weise bestätigt worden. Ich plädiere dafür, auf die Kernidee des Grundgesetzes zurückzukommen. Übernahme von Verantwortung besteht nicht darin, dass man versucht, Demokratien in anderen Ländern zu installieren. Auslandseinsätze der Bundeswehr dürfen nur noch eine absolute Ausnahme sein.

epd: Was bedeutet Afghanistan für den christlich-muslimischen Dialog in Deutschland?

Kramer: Zunächst: Wir dürfen nicht blauäugig sein. Aber es geht nicht ohne Verständigung, ohne das Ausräumen gegenseitiger Verdächtigungen. Das gilt auch für den islamischen Religionsunterricht. Er darf nicht in Bereiche gedrängt werden, die vor der Öffentlichkeit verborgen sind. Ich halte ihn an den Schulen für sehr, sehr zielführend und unterstütze das Kooperationsmodell des Staates bei der Lehrerausbildung. Das ist angesichts der Zersplitterung der islamischen Gemeinschaft, der vielen Verbände, die für ihre Gläubigen sprechen, sicher nicht einfach. Aber der Islam hat, als Teil der deutschen Wirklichkeit, die gleichen Rechte wie alle anderen Religionen auch. Daran kann kein Zweifel bestehen.

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