27.05.2022
Bundesgerichtshof verhandelt über Wittenberger "Judensau"
Karlsruhe/Wittenberg (epd). Der Bundesgerichtshof in Karlsruhe befasst sich am kommenden Montag (30. Mai) mit der sogenannten Wittenberger „Judensau“.
Das Gericht muss entscheiden, ob die Schmähplastik aus dem 13. Jahrhundert von der Stadtkirche der Lutherstadt entfernt werden muss und ob das Sandsteinrelief den Tatbestand der Beleidigung erfüllt. Kläger ist das Mitglied einer jüdischen Gemeinde, Beklagte ist die evangelische Kirchengemeinde der Stadtkirche zu Wittenberg. (VI ZR 172/20)
Die Plastik von 1290 zeigt eine Sau, an deren Zitzen sich Menschen laben, die Juden darstellen sollen. Ein Rabbiner blickt dem Tier unter den Schwanz und in den After.
Der Kläger hatte gegen ein vorangegangenes Urteil des Oberlandesgerichtes Naumburg (OLG) Revision eingelegt. Das OLG hatte damals eine vorherige Berufungsklage des Mannes zurückgewiesen und ein Urteil des Landgerichts Dessau-Roßlau bestätigt. Demnach muss das Relief nicht beseitigt werden, weil es aktuell keinen beleidigenden Charakter mehr habe. Es befinde sich nicht unkommentiert an der Kirche. Das Relief sei in ein Gedenkensemble eingebunden und stellt damit keine Missachtung von Juden mehr dar.
Unterhalb der Schmähplastik gibt es seit 1988 ein Mahnmal mit Erklär-Text, in dem sich die evangelische Kirchengemeinde von Judenverfolgungen, den antijudaistischen Schriften von Reformator Martin Luther (1483-1546) und der verhöhnenden Zielrichtung des mittelalterlichen Reliefs distanziert.
Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) betonte vor dem Karlsruher Prozess, die Wittenberger „Judensau“ stelle fraglos eine Schmähung dar und könne so nicht bleiben. „Doch die lange Geschichte christlichen Antijudaismus und Antisemitismus, die sich in diesem Relief auf obszöne Weise verdichtet, ist nicht auf juristischem Wege zu klären“, erklärte der Antisemitismusbeauftragte der EKD, Christian Staffa, am Donnerstag in Berlin.
Die Skulpturen einfach von den Kirchen zu entfernen, würde laut Staffa zu kurz greifen: „Denn antijüdische Geschichte lässt sich nicht ungeschehen machen, indem man ihre Zeugnisse abschlägt und glättet.“ Das gelte für das Wittenberger Relief, aber ebenso für das Wittenberger Cranach-Altarbild. Auf diese Formel habe es auch der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, gebracht.
Die Kirche müsse sich ihrer antijüdischen Geschichte stellen und diesen Prozess auch sichtbar machen. Das sei „ein langer Weg“, der mittlerweile begonnen, aber noch lange nicht zu Ende sei. „Davon zeugt auch dieser Rechtsstreit, der unabhängig von seinem Ausgang die vor uns liegende Aufgabe nicht erledigen kann“, sagte Staffa, der auch Studienleiter für Demokratische Kultur und Kirche an der Berliner Evangelischen Akademie ist.
Das Oberlandesgericht hatte in dem Rechtsstreit die Revision zugelassen, wegen der grundsätzlichen Bedeutung und der Frage, wie mit der Herabwürdigung von Personengruppen in solchen zivilrechtlichen Fragen zu verfahren sei. Neben dem Relief in Wittenberg gibt es auch an zahlreichen anderen Kirchen in Deutschland derartige Schmähplastiken, laut Bundesgerichtshof rund 50 Exemplare.
Judenfeindliche Schmähplastiken
Berlin (epd). Schmähplastiken oder Schmähskulpturen waren in der christlichen Kunst des Mittelalters fester Bestandteil und Ausdruck vom Antijudaismus der Kirchen. Juden wurden in den Darstellungen an den Kirchen verhöhnt, verspottet und gedemütigt. Ein prominentes Beispiel ist die Schmähskulptur „Judensau“ an der Wittenberger Stadtkirche.
Auf dem um 1300 entstandenen Relief in etwa vier Metern Höhe ist ein Rabbiner zu sehen, der den Schwanz eines Schweins anhebt und ihm in den After sieht. Zwei weitere Juden saugen an den Zitzen des Tiers. Das Schwein gilt den Juden als unrein.
Bekannt sind in Deutschland und Europa etwa 50 solcher Darstellungen, darunter neben Wittenberg am Kölner Dom, am Dom von Brandenburg an der Havel, dem Regensburger Dom und an der Kathedrale von Metz (Frankreich). Wie damit umzugehen ist, ist umstritten.
Die eine Seite fordert den Erhalt der Schmähplastiken als kunsthistorisches Erbe, die aber durch Informations- und Gedenktafeln, die über die Hintergründe aufklären, ergänzt werden. Die andere Seite will die Plastiken von den Kirchen entfernen lassen und sieht in ihnen eine anhaltende Schmähung jüdischer Menschen und des Judentums.
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