20.10.2018
"Ein schlafender Riese" | Neues Internetportal erleichtert Produktion von Gemeindezeitungen
Von Dirk Löhr (epd) Erfurt/Weimar (epd). Ein Dorf, eine Kirche, ein Pfarrer - dieser Dreiklang ist in der Mitte Deutschlands längst Geschichte. Ein Pfarrer betreut inzwischen mehrere Gemeinden. Für die Kirchgänger ist es da nicht leicht, den Überblick zu behalten: Wo ist denn nun am Sonntag der Gottesdienst? Orientierung bieten die Gemeindebriefe, kleine Zeitungen, die neben dem richtigen Ort und der Zeit für Predigt und gemeinsames Gebet auch andere nützliche Informationen bereithalten. Etwa wer sich jüngst traute oder wo ein Geburtstag ins Haus steht.
Etwa 300 dieser Gemeindebriefe gibt es in Thüringen und Sachsen-Anhalt, dem Kerngebiet der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland (EKM). Sie erscheinen einmal im Monat oder viermal im Jahr, meist im A5-Format und oft schwarz-weiß plus eine Schmuckfarbe. Bei den kleinsten liegt die Auflage bei 100 Exemplaren, in den Städten können es auch ein paar Tausend sein. Oft kümmert sich ein kleines Redaktionsteam im Ehrenamt um Texte, Fotos und Layout, manchmal macht es der Pfarrer ganz allein. Viel Zeit für ein gewagteres Layout gibt es für die Feierabend-Redakteure eher nicht; der Wunsch nach mehr Farbe bleibt meist auf der Strecke. Geld für Extras sitzt bei den Gemeinden nicht gerade locker.
Das könnte sich jetzt ändern - zumindest was die Farbe angeht. Die EKM hat mit Hilfe der mitteldeutschen Kirchenzeitung "Glaube + Heimat" das Internet-Portal "unser-gemeindebrief.de" ins Leben gerufen. Im Netz sollen die Kirchenblättchen künftig entstehen, Texte und Fotos eingebaut und das ganze druckfähig gemacht werden. Mit vier Redaktionen wurden jetzt die ersten Ausgaben produziert. Mit einigem Erfolg. Die Blättchen sehen frischer aus, aber auch ein wenig seriöser. Die Titelseite des Gemeindeblattes der Erfurter Predigergemeinde etwa schmücken passend zum Thema "Vom Umgang mit dem Geld" Euroscheine in grün, gelb und orange. In Kapellendorf zeigt man sich in rot und blau solidarisch mit der Nachbarstadt: "Wir für Apolda. Kein Ort für Nazis!" ist dort auf Seite 1 zu lesen.
Pfarrer Thomas Robscheit hat sein Blättchen bisher am Computer im Pfarrhaus selbst gestaltet. Er hat schon im Studium in Jena bei der Studentenzeitung mitgemacht. Auch die Computertechnik schreckt ihn nicht. Er kam bisher auch ohne Portal zurecht. Doch jetzt ist die Zusammenarbeit mit den anderen, die ihm zuarbeiten, leichter geworden, sagt er. Sind die Kinderkrankheiten des neuen Systems erst überwunden, sollte es auch etwas schneller gehen als bisher, meint der Pfarrer aus Apolda optimistisch.
Auch in der Erfurter Pilotredaktion ist man zufrieden. Ab der übernächsten Ausgabe will das Team ganz mit "unser-gemeindebrief.de" produzieren. Von den Mitarbeitern von "Glaube + Heimat" kam jede Hilfe, lobt Arne Langer. Gemeinsam mit Robscheit und den anderen "Piloten" ist er am Samstag in das Landeskirchenamt gekommen. Dort sind bei einem Fachtag das Portal, seine Möglichkeiten und die ersten Ergebnisse vorgestellt worden.
Mit einigem Erfolg; mehr als 120 Männer und Frauen, die in etwa 50 Gemeinden für die Kirchenzeitungen Verantwortung tragen, sind gekommen. Über Stunden wird engagiert beraten, werden viele Fragen gestellt und beantwortet. Erfahrungen mit solch einem Unterfangen gibt es in Deutschland bisher noch nicht. Die EKM ist die erste evangelische Landeskirche, die sich an die Gemeindebriefe als Ganzes heranwagt, heißt es.
Dabei ist klar, alles auf einmal geht nicht. Etwa 20 Kirchenblättchen und ihren Redakteuren pro Jahr soll die Arbeit mit und auf dem Portal näher und beigebracht werden, blickt Willi Wild voraus. Doch der Chefredakteur von "Glaube + Heimat" warnt auch vor zu großen Ambitionen. Die Zeitung ist das Wohnzimmer des Lesers, erklärt er. Ein frischer Anstrich ist bestimmt willkommen, aber ob sich gleich alle über ein komplettes Möbelrücken freuen? Behutsamkeit und Augenmaß sind also angesagt.
Auch wenn die EKM den Gemeinden Technik und Unterstützung kostenlos zukommen lässt, sollen sich die Anstrengungen für sie auszahlen. Es geht schlicht darum, die mehr als 700.000 Kirchenmitglieder überhaupt zu erreichen. Das klappt angesichts dünner Besucherzahlen bei den Gottesdiensten immer weniger, erklärt Kirchensprecher Ralf-Uwe Beck. Ganz anders die Gemeindebriefe. Die erfreuen sich anhaltender Beliebtheit. Obwohl in seinen acht Dörfern die Zahl der Kirchenmitglieder in den letzten Jahrzehnten von etwa 1.000 auf 650 zurückgegangen ist, werden nach wie vor 420 Exemplare des meist acht-, manchmal auch zwölfseitigen Gemeindebriefes zum Preis von 30 Cent an die Frau und den Mann gebracht, erklärt Pfarrer Robscheit. Für Ralf-Uwe Beck sind die vielen kleinen Zeitungen daher zusammen "ein schlafender Riese" der evangelischen Publizistik.
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Drei Gemeindebrief-Macher haben beim Fachtag vor der Kamera erklärt, warum sie mitmachen wollen beim neuen Redaktionsportal: