18.04.2024
Historiker würdigt Bedeutung Magdeburgs für die Reformation

Magdeburg (epd). Der Berliner Historiker Wolfgang Flügel sieht die Stadt Magdeburg vor 500 Jahren als „Bollwerk der Reformation“.

Im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd) sagte er, die Elbestadt nehme eine entscheidende Weichenstellung in der Reformations- und Reichsgeschichte ein: „Ohne Magdeburg wäre die Reformation vielleicht anders verlaufen.“ Die Stadt sei daher auch als „Unseres Herrgotts Kanzlei“ bezeichnet worden.

Nach dem Tod des Reformators Martin Luther (1483-1546) hätten sich in Magdeburg viele lutherische Theologen wie Matthias Flacius Illyricus (1520-1575) versammelt, sodass in der Stadt die protestantische Lehre weiterentwickelt worden sei. Ein Ergebnis sei die sogenannte Konkordienformel, die 1577 im Kloster Berge bei Magdeburg verabschiedet wurde und bis heute bestimme, was gültige lutherische Lehre sei. „Magdeburg hat also sowohl intellektuell als auch politisch einiges für die Reformation getan“, sagte Flügel.

Als Auslöser der Reformation in Magdeburg gilt eine Predigt Luthers vor fast genau 500 Jahren am 26. Juni 1524 in der Johanniskirche. Die Stadt sowie die evangelische Kirche begehen dieses Jubiläum mit einem Festjahr. Am 15. Juni soll laut dem evangelischen Superintendenten Stephan Hoenen ein eigens für das Jubiläum komponiertes „Reformationsoratorium“ vom Magdeburger Kantatenchor uraufgeführt werden.

Ende Juni sei zudem eine internationale Tagung zum Thema „Reformation und Großstadt“ geplant. Zum Jahrestag von Luthers Predigt soll der Göttinger Kirchenhistoriker Thomas Kaufmann einen öffentlichen Festvortrag halten. Das Festjahr endet laut Hoenen mit dem Reformationstag am 31. Oktober. Dann soll noch einmal ein Gottesdienst am Ort des historischen Geschehens groß gefeiert werden.

Laut Flügel war Luthers Predigt aber nicht der Auslöser für den Wechsel der Stadt zum protestantischen Glauben. Vielmehr sei das ein längerer Prozess gewesen, sagte der Historiker: „Luthers Predigten lösten die Reformation in Magdeburg nicht aus, aber ebneten ihr den Weg.“

Der Historiker arbeitet mittlerweile als Bibliothekar am Museum für Naturkunde in Berlin und hat sich zuvor insbesondere mit der Reformationsgeschichte und Erinnerungskultur beschäftigt. Die Ereignisse um die Reformation in Magdeburg seien für die gesamte Stadtgesellschaft von Bedeutung, meinte Flügel: „Angesichts zahlreicher Brüche in der Magdeburger Stadtgeschichte kann die Reformationsgeschichte auch ein Haltepunkt sein, an dem man auf seine Stadt stolz sein kann.“

"Magdeburg hat einiges für die Reformation getan"

epd-Gespräch: Oliver Gierens

Magdeburg (epd). Vor 500 Jahren hielt Martin Luther (1483-1546) erstmals eine Predigt in Magdeburg - und löste damit der Überlieferung nach die Reformation in der Stadt aus. Anlässlich des Festjahres hält der Berliner Historiker Wolfgang Flügel am Donnerstag einen Vortrag im Magdeburger Dom zum Thema „Magdeburg als Bollwerk des Luthertums und Erinnerungsort der Reformation“. Flügel ist heute Bibliothekar am Museum für Naturkunde in Berlin und hat sich unter anderem mit Reformationsgeschichte und Erinnerungskultur beschäftigt.

epd: Wann kam die Reformation in Magdeburg an - erst mit Luthers Predigt 1524 oder schon früher?

Wolfgang Flügel: Wir hören immer, dass Luther mit seiner Predigt am 26. Juni 1524 die Reformation in Magdeburg eingeführt habe. Das klingt so, als hätte man einen Wasserhahn aufgedreht, und dann setzte ein reicher Schwall ein. Die Predigt war sicherlich ein herausragender Punkt. Aber damit ist der Vorgang nicht erklärt. Vielmehr handelt es sich um einen längeren Prozess. Magdeburg zeigt idealtypisch, wie die Reformation als „Stadtreformation“ Verbreitung fand. Gerade in der Elbestadt herrschten jene Bedingungen, auf deren Grundlage die reformatorische Theologie zum Ereignis werden konnte. Zum einen war die Stadt geprägt von Konflikten. Eine selbstbewusste Bürgerschaft versuchte, städtische Freiheiten gegen die stadtherrlichen Ansprüche des Erzbischofs Kardinal Albrecht von Brandenburg (1490-1545) auszuweiten und die Autonomie einer Reichsstadt zu erlangen. Zum anderen existierte eine fromme Bürgergemeinde. Die Kirchen und Klöster in der Stadt zeugen davon. Ergänzend hatte sich eine Laienfrömmigkeit entwickelt, die auf die Suche nach einem persönlichen Glaubenszugang verweist. Beides ist Ausdruck einer Situation, die sich um 1500 zuspitzte. Krisenerscheinungen, etwa Seuchengefahr oder Wirtschaftsprobleme, haben alte Weltbilder ebenso ins Wanken gebracht wie das Gedankengut von Humanismus und Renaissance. Teile der Bevölkerung bekannten sich bereits seit 1521 zu Luthers Lehre. Im Mai 1524 löste die Verhaftung eines Händlers, der Drucke lutherischer Lieder verkauft hatte, Ausschreitungen aus. Um das weitere Vorgehen in dieser angespannten Situation zu beraten, rief Nikolaus Sturm als Gemeindemitglied - nicht in seiner Eigenschaft als Magdeburger Bürgermeister - Martin Luther in die Stadt, der hier mehrfach predigte.

epd: War Luthers Predigt tatsächlich der endgültige Auslöser für die Reformation - oder ist das ein Stück Legende?

Flügel: Luthers Predigten lösten die Reformation in Magdeburg nicht aus, aber ebneten ihr den Weg. Immerhin öffnete sich der Rat unter dem Druck der Ereignisse des Sommers 1524 gegenüber der neuen Lehre. Mit seiner Erlaubnis konnte Luthers Vertrauter Nikolaus von Amsdorf (1483-1565) eine neue Gottesdienstordnung einführen und das Schul- und Armenwesen nach Wittenberger Vorbild organisieren. Damit hatte die Reformation in der Elbestadt endgültig Fuß gefasst.

epd: Sie bezeichnen Magdeburg als ein Bollwerk der Reformation - wieso?

Flügel: Dies hat mehrere Gründe: Die Hansestadt Magdeburg zählte mit ihren über 30.000 Einwohnern zu den größten und reichsten Städten des Alten Reiches. Nachdem sie als erste Großstadt des Reiches die Reformation eingeführt hatte, blieb sie für rund 60 Jahre Schauplatz zentraler Ereignisse der Reformationsgeschichte und Kreuzungspunkt wichtiger politischer Entwicklungslinien. Beispielsweise hatte Magdeburg anders als alle anderen protestantischen Stände im Schmalkaldischen Krieg (1546/47) nicht kapituliert. Deshalb hatte Kaiser Karl V. (1500-58) die Stadt mit der Reichsacht belegt, die Moritz von Sachsen (1521-53) mit der Belagerung 1550/51 exekutieren sollte. Doch Moritz verhandelt einen milden Friedensschluss, um sich an die Spitze einer Fürstenopposition zu stellen und gegen den Kaiser ins Feld zu ziehen. Militärisch erfolgreich konnte er den Passauer Vertrag 1552 aushandeln, den unmittelbaren Vorläufer des Augsburger Religionsfriedens 1555, der das gleichberechtigte Nebeneinander von Lutheranern und Katholiken festschrieb. Moritz von Sachsen war also Retter des Protestantismus. In dem Kontext nimmt Magdeburg eine entscheidende Weichenstellung in der Reformations- und Reichsgeschichte ein. Ohne Magdeburg wäre die Reformation vielleicht anders verlaufen.

Damit im Zusammenhang steht ein weiterer Punkt: Magdeburg wurde als „Unseres Herrgotts Kanzlei“ bekannt: Nach der Niederlage im Schmalkaldischen Krieg versammelten sich in Magdeburg lutherische Theologen wie Matthias Flacius Illyricus (1520-75), um mit über 400 Druckschriften gegen das sogenannte Interim - ein Gesetz, mit dem der Kaiser die Glaubensfrage im Sinne der römischen Kirche bis zum endgültigen Entscheid durch ein Konzil lösen wollte - zu polemisieren. Zu ihren Gegnern zählten sie neben den kaiserlichen Theologen auch die kompromissbereiten Lutheraner um Philipp Melanchthon. Doch gerade diese innerlutherischen Auseinandersetzungen entwickelten die lutherische Lehre weiter. Die Lutheraner hatten gemerkt, dass sie ein Lehrgebäude schaffen mussten. Im Kloster Berge bei Magdeburg verfassten sie 1577 die Konkordienformel, eine Bekenntnisschrift, die fortan bestimmt, was gültige lutherische Lehre ist. Magdeburg hat also sowohl intellektuell als auch politisch einiges für die Reformation getan.

epd: Wie erging es den letzten katholischen „Bastionen“ wie dem Kloster Unser Lieben Frauen oder dem Domkapitel?

Flügel: Dem Kloster Unser Lieben Frauen, in dem Prämonstratenser gelebt haben, gingen bereits 1524 die Patronate über die Sankt-Johannis-Kirche und die Sankt-Ulrich-und-Levin-Kirche verloren. Während des Schmalkaldischen Krieges wurde das Kloster geplündert, erst mit dem Religionsfrieden von 1555 wurde seine Immunität anerkannt. Die Mönche konnten wieder einziehen, aber ihre Situation als Minderheit im lutherisch geprägten Umfeld blieb schwierig. Um 1570 haben die Chorherren beschlossen, außerhalb des Klosters auf ihre Ordensgewänder zu verzichten. Aber immerhin befand sich bis zum Dreißigjährigen Krieg das Grab des heiligen Norbert von Xanten (um 1082-1134) im Kloster. 1601 haben die Mönche das Kloster dann endgültig verlassen. Der Dom wurde nach dem Tod Kardinal Albrechts 1545 für rund 20 Jahre geschossen. Im Jahr 1566 wählte das Domkapitel mit Joachim Friedrich (1546-1608) den ersten Landesherrn, der sich offiziell zum Luthertum bekannte und in den Folgejahren im gesamten Stiftsgebiet die Reformation eingeführt hat. Am ersten Advent 1567 schließlich hielt der neue Domprediger Siegfried Sack (1527-96) die erste evangelische Predigt in der Kathedrale.

epd: Wie hat die Reformation die Entwicklung Magdeburgs letztlich beeinflusst?

Flügel: Nach der Belagerung von 1550/51 und dem Augsburger Religionsfrieden 1555 erlebte die Stadt eine Periode des Friedens, eine wirtschaftliche und kulturelle Blütezeit, die rund sieben Jahrzehnte andauerte.

epd: Sie sind auch Experte für die Erinnerungskultur. Wie geht Magdeburg heute mit diesem Kapitel der Geschichte um?

Flügel: Auch in der Gegenwart ist die Reformation für die Lutheraner als Gründungsgeschehen der eigenen Kirche ein ganz wichtiger und symbolisch aufgeladener Moment. Doch die Reformation als prägendes Ereignis der Stadtgeschichte weist über die religiöse Ebene hinaus und geht alle Bürger etwas an. Angesichts zahlreicher Brüche in der Magdeburger Stadtgeschichte kann die Reformationsgeschichte auch ein Haltepunkt sein, an dem man auf seine Stadt stolz sein kann. Mit ihren Veranstaltungsprogrammen machen die Stadt Magdeburg und zivilgesellschaftliche Akteure einiges, um die Bedeutung zentraler historischer Ereignisse - nicht nur der Einführung der Reformation - zu vergegenwärtigen. Das gefällt mir sehr.

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