08.09.2021
Mit Füller, Tintenfass und Wanderschuhen zum "Wartburg-Experiment"
Eisenach (epd). 500 Jahre nach der Bibelübersetzung durch Martin Luther (1483-1546) auf der Wartburg soll dort wieder ein Stück Sprach- und Literaturgeschichte geschrieben werden.
Mit dem Lyriker Uwe Kolbe startet am Mittwoch das sogenannte Wartburg-Experiment, sagte der Vorstandssprecher der Internationalen Martin Luther Stiftung (IMLS), Thomas Seidel, am Dienstag auf der Burg bei Eisenach. Jeweils für einen Monat seien neben Kolbe auch die Schriftstellerin Iris Wolff und der Schriftsteller und Philosoph Senthuran Varatharajah zur „Zwiesprache mit der Lutherbibel“ eingeladen.
Einzige Bedingung für die schriftstellerische Arbeit sei ein Bezug zum Neuen Testament. Ob am Ende der Klausur ein Prosatext, Gedichte oder ein Essay entstanden ist, liege dabei ganz im Ermessen der Autoren, so Seidel. Mit ihrer Arbeit am Originalschauplatz knüpfe das Trio an die Übersetzung Luthers an, der von Weihnachten 1521 bis Anfang März 1522 in nur elf Wochen das neue Testament vor allem aus dem Griechischen ins Deutsche übersetzte und damit zugleich die Grundlage für die deutsche Schriftsprache legte.
Wie der Reformator stünden die Autorin und Autoren vor der Aufgabe, zu übersetzen, sagte Eisenachs Oberbürgermeisterin Katja Wolf (Linke). Dabei gehe es nicht darum, einfach nur zu historisieren, sondern dem Geist des Neuen und Gewagten „in das Jetzt, Heute und Hier“ zu übertragen, erklärte die Rathauschefin. Sollte sich in der Einsamkeit der Burg Verzweiflung einstellen, seien die Schreibenden gern auf ein Eis unten in der Stadt eingeladen.
Kolbe und Wolff - Varatharajah konnte wegen einer Erkrankung am Dienstag nicht dabei sein - gestanden ihren Respekt vor der anstehenden Herausforderung ein. Beide erhielten aus den Händen von Michael Jahnke, dem Leiter Bibelprogramm der Deutsche Bibelgesellschaft, einen der auf 500 Ausgaben limitierten Faksimile-Druck von Luthers 1522 erschienen „Septembertestament“.
Die 1977 in Rumänien, im siebenbürgischen Hermannstadt, geborene Wolff bezeichnete es als „große Kostbarkeit“, vier Wochen am Stück und „verborgen vor der Welt“ schreiben zu können. Auch Kolbe freute sich auf die Zeit, unterstrich aber auch den experimentellen Ansatz der Klausur. Für ihn gehe es zunächst darum, einen Umgang mit den vielen Touristen auf der seit 1999 zum Unesco-Welterbe gehörenden Burg zu finden.
Deren Getrippel werde in der Schreibkemenate, die fast direkt neben Luthers Schreibstube liegt, sicherlich zu hören sein, sagte der Lyriker. Aber für ihn seien neben Füllfederhalter und - für alle Fälle - dem Tintenfass auch die Wanderschuhe mit die wichtigsten Arbeitsutensilien, bekannte der 1957 in Ost-Berlin geborene und inzwischen in Dresden lebende Autor.
Ob, in welcher Form und wann die Arbeiten des aktuellen Trios zu lesen sein werden, ließ Seidel offen, verwies aber auf erste Gespräche mit Verlagen. Auf alle Fälle werde der Schreib-Aufenthalt der Autorin und ihrer Kollegen aber medial begleitet.
Unterstützt wird das „Wartburg-Experiment“ unter anderem von der Stadt Eisenach sowie von der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (VELKD), dem Kulturbüro der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), dem Lutherhaus Eisenach und der Wartburg-Stiftung.
500 Jahre Bibelübersetzung durch Martin Luther
Eisenach (epd). Der Reformator Martin Luther (1483-1546) übertrug zwischen Weihnachten 1521 und Frühjahr 1522 auf der Wartburg bei Eisenach das Neue Testament ins Deutsche. Der Reformator wurde seit dem 4. Mai 1521 vom sächsischen Kurfürsten Friedrich den Weisen auf der Veste versteckt, nachdem er auf dem Reichstag in Worms seine Thesen nicht widerrufen wollte und der Kaiser die Reichsacht über ihn verhängt hatte. Zur Übersetzung riet ihm Philipp Melanchthon bei einem heimlichen Besuch Luthers im Dezember 1521 in Wittenberg.
Seit 1466 hatte es bereits 18 Versuche einer Bibelübersetzung ins Deutsche gegeben. Die von Luther vorgelegte Übersetzung des Neuen Testaments gilt als Teil der Lutherbibel nicht nur als die traditionsreichste deutsche Bibelübersetzung, sondern auch als wichtige Grundlage zur Herausbildung einer deutschen Schriftsprache. Viele bis heute gebräuchliche Begriffe wie Nächstenliebe, Herzenslust, Schandfleck, Lückenbüßer, Lästermaul oder Gewissensbisse lassen sich auf seinen Text zurückführen.
Luther konnte auf der Wartburg für seine Arbeit auf eine lateinische „Vulgata“ sowie eine Ausgabe der zweiten Auflage des Neuen Testaments des Erasmus von Rotterdam aus dem Jahr 1519 zurückgreifen. Letztere bot ihm neben dem griechischen Text auch eine lateinische Übersetzung.
Bereits im September 1522 erschien Luthers Übersetzung des Neuen Testament in gedruckter Form („Septembertestament“). 1534 folgte die erste komplette Ausgabe der Bibel mit Altem und Neuem Testament. Neben Luther beteiligte sich an der Übertragung des Alten Testaments aus dem Hebräischen und Aramäischen ein ganzes Team von Kollegen vor allem der Wittenberger Universität.
Bis heute ist die Lutherbibel die von der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) empfohlene Bibelübersetzung für den evangelischen Gottesdienst. Auch in ihrer heutigen Form geht sie auf die Übersetzung Martin Luthers zurück. Allerdings führten im Laufe der Jahrhunderte neue Erkenntnisse im Bereich der Bibelwissenschaften sowie die Entwicklung der deutschen Sprache immer wieder zu Anpassungen der ursprünglichen Fassung.
Zuletzt wurde die Lutherbibel auf Anregung der Deutschen Bibelgesellschaft durch eine EKD-Kommission überarbeitet. Sie erschien zum 500. Reformationsjubiläum als revidierte Lutherbibel. Die Lutherbibel gibt es inzwischen nicht nur als gedrucktes Buch. Sie ist auch als E-Book und Hörbuch sowie als App und Computersoftware verfügbar. Auf der Seite Die-Bibel.de der deutschen Bibelgesellschaft steht der Text der Lutherbibel frei zur Verfügung.
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