19.03.2020
Rechtsextreme sorgen in Thüringen für ein Klima der Angst | Opferberatung ezra sieht nach Vorlage der Statistik für 2019 keinen Anlass zur Entwarnung
Erfurt (epd). Extrem rechte Ideologien sorgen in Thüringen aus Sicht der Opferberatung ezra neben einem hohen physischen Gefährdungspotenzial auch für zunehmende atmosphärische Angst.
Das gelte insbesondere für die Städte Erfurt und Jena, aber auch für Regionen wie den Landkreis Saalfeld-Rudolstadt, erklärte ezra am Mittwoch in Erfurt. Zudem verlagere sich dieses Klima gerade über die sozialen Netzwerke mit massiven Bedrohungen bis hin zu Mordaufrufen in den virtuellen Raum. Daher sei auch der Aufbau einer Online-Beratung notwendig, hieß es.
Das Ausmaß unmittelbarer rechter Gewalt bleibe in Thüringen hoch. Die Zahl der dokumentierten Fälle sei zwar im vorigen Jahr auf 108 zurückgegangen (2018: 166), sagte ezra-Koordinator Franz Zobel. Der Wert liege aber deutlich über denen für die Jahre vor der rassistischen Mobilisierung etwa durch "Thügida" und die AfD seit 2015, als Deutschland seine Grenzen für Flüchtlinge öffnete. Als häufigste Tatmotive benannte er Rassismus, gefolgt von Angriffen gegen politische Gegner. "Der Rückgang zum Vorjahr ist mit Vorsicht zu bewerten", warnte Zobel. Zudem sei von einer hohen Dunkelziffer auszugehen.
Fehlende Konsequenzen für die Täter führten bei den Opfern zu Resignation, sagte ezra-Beraterin Theresa Lauß. Vorfälle würden so oft gar nicht erst zur Anzeige gebracht. Notwendig sei daher jetzt eine parteiübergreifende Allianz, die die Perspektiven und Forderungen der Betroffenen in den Mittelpunkt stelle und endlich konkrete Maßnahmen umsetze.
Zobel verwies vor diesem Hintergrund auf die Handlungsempfehlungen der beiden Thüringer NSU-Untersuchungsausschüsse und der Enquetekommission "Rassismus und Diskriminierung", die zum großen Teil bis heute nicht umgesetzt würden. Der ezra-Projektkoordinator sprach von einem "Reformstau, den zahlreiche Menschen tagtäglich auf grausame Art und Weise zu spüren bekommen".
Das sieht die Linken-Landtagsabgeordnete Katharina König-Preuss ähnlich. Es habe zwar bereits polizeiseitig Verbesserungen im Umgang mit der Opferberatung gegeben. "Nach meinem Dafürhalten wäre es jedoch sinnvoll, einen Austausch über Fallzahlenabgleiche beider Stellen unter Wahrung der Anonymität Betroffener voranzubringen, um die Dimensionen und Hotspots besser zu erfassen sowie Dunkelfelder aufzuhellen", erklärte sie. Mit Blick darauf, dass Neonazi-Übergriffe und Bedrohungen durch repressive Maßnahmen seitens der Polizei und Justiz Wirkung zeigten, sprach sich König-Preuss für die Einrichtung einer entsprechenden Schwerpunktstaatsanwaltschaft im Land aus.
Wie ezra sah auch die Landtagsabgeordnete Madeleine Henfling (Grüne) im Rückgang der Fallzahlen in Eisenach ein erfreuliches Zeichen. Ob die Schwächung des bisherigen Hotspots rechter Gewalt auf die Intervention des Staates zurückgehe, müsse die Zukunft zeigen, fügte sie hinzu.
Seit April 2011 unterstützt ezra - das hebräische Wort steht für Hilfe - Opfer rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt. Träger ist die Evangelische Kirche in Mitteldeutschland (EKM). Finanziert wird ezra über das Bundesprogramm "Demokratie leben!" und das Thüringer Landesprogramm für Demokratie, Toleranz und Weltoffenheit "DenkBunt".
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