15.01.2020
Reform der Organspende-Regelung im Bundestag | Regionalbischöfin Friederike Spengler: "Keine Fremdverfügung des Menschen"

An diesem Donnerstag (16. Januar 2020) stimmt der Deutsche Bundestag über eine Reform der Organspende-Regelung ab. Bleibt es bei der Organspende nur nach willentlicher Entscheidung jedes Einzelnen oder stimmen die Abgeordneten für die sogenannte Widerspruchslösung, bei der alle Deutschen Organspender sind – es sei denn, sie widersprechen? Friederike Spengler, Regionalbischöfin im Propstsprengel Gera-Weimar, spricht sich sehr klar gegen die Widerspruchslösung aus.

"Ich habe Hochachtung vor jedem Menschen, der nach reiflicher Überlegung zu dem Entschluss kommt, seine Organe an andere Menschen zu deren Lebenserhaltung zu spenden. Dies ist ein Akt von großer Solidarität, der oft aus Dankbarkeit gegenüber dem Leben, aus Nächstenliebe oder anderen guten Gründen geschieht. Der Charakter unbedingter Freiwilligkeit, der Charakter einer Spende aber muss unbedingt erhalten bleiben. Spende heißt hier: selbstbestimmtes Überlassen eines Teiles von mir selbst, meines Körpers, der keinem anderen Menschen, keiner Klinik, keiner Organisation, keinem Staat gehört. Die Bereitschaft zu einer solchen Spende hat Konsequenzen, die immer mit bedacht werden müssen. Im Blick auf den Organempfänger und im Blick auf den Organgebenden.

„Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie auch im Sterben zu achten und zu schützen, ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt“ (ThürVerf Art. 1) Notwendig ist die Aufklärung unter Offenlegung der Praxis von Organentnahmen zur Nachvollziehbarkeit vor jeder Entscheidungsfindung sowie Transparenz in deren Vergabe. Dazu gehören auch der Umgang mit der Definition des „Hirntodes“ und die daraus abgeleiteten Konsequenzen. Mit diesem wird ein unumkehrbarer Ausfall des größten Teils der Hirnfunktionen bezeichnet. Der „Hirntod“ ist weder zu beweisen noch zu widerlegen, er kann nur entschieden werden. Die Kirchen haben ihn bereits vor Jahren anerkannt. Dieser Zeitpunkt ist in Deutschland die Voraussetzung für die Organentnahme. Die Feststellung des Hirntodes  ist aber nicht gleichbedeutend mit dem biologischen Tod. Bei der Vorbereitung eines hirntoten Menschen für die Entnahme von Organen wird in den Sterbeprozess eingegriffen, um die Organe für eine Transplantation nutzen zu können. So ist Organspende keine Spende eines toten, sondern eines sterbenden Menschen.

Das muss Auswirkungen auf die Begleitung dieser Menschen und deren Zugehörige haben! Ärztinnen und Ärzte der Palliativmedizin, Seelsorgerinnen und Seelsorger sollten beizeiten in Entscheidungsfindung, Vorbereitung und Durchführung einer Organentnahme einbezogen werden. Die sich zur Organentnahme zur Verfügung gestellten Menschen sind Sterbende und keine Leichname und haben einen Anspruch auf menschenwürdigen Umgang mit ihnen und auf ein begleitetes Sterben! Das heißt auch: Entnahme von Organen nur unter Narkose. Den Zugehörigen sollen Angebote der Begleitung zur Verfügung stehen. Sie sollen das Recht haben, jederzeit zu wissen, wo ihr sterbender Zugehöriger ist und sich nach dem Eingriff in würdiger und ihnen hilfreicher Weise verabschieden können.

Für mich heißt dies: Nein zur Widerspruchslösung! Stattdessen unbedingte Aufklärung statt Verpflichtung aller, die nicht rechtzeitig Nein sagen (können). Keine Fremdverfügung des Menschen, sondern Ernstnehmen seiner bewussten Entscheidung, die auch darin bestehen kann, keine Entscheidung treffen zu wollen! Dafür Ja zu einer „ars moriendi“, der Kultivierung einer Kunst des Sterbens. Zu dieser gehört u.a. die Auseinandersetzung mit dem Tod als Teil des Lebens. Zu dieser gehört, dass Sterbende Teil unserer Gesellschaft sind und mitten unter uns bis zuletzt ihr Leben leben können. Zu dieser gehört eine Absage zum Optimierungswahn menschlichen Lebens, als wäre nur glückliches, gesundes, sozial wie wirtschaftlich erfolgreiches Leben lebenswert. Leben ist mehr! „Herr, lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf das wir klug werden!“ (Psalm 90,12)"

Friederike F. Spengler, Regionalbischöfin der Propstei Gera-Weimar

 

Auch die Evangelischen Frauen in Deutschland lehnen in einer Pressemitteilung die Widerspruchslösung ab:

Am Donnerstag soll im Bundestag über eine mögliche Gesetzesänderung bei der Regelung von Organspenden entschieden werden. Im Fokus steht die sogenannte Widerspruchslösung, der zufolge alle Personen, die zu Lebzeiten nicht widersprechen, im Falle eines Hirntodes automatisch zu Organspenderinnen werden.  Dies lehnen die Evangelischen Frauen in Deutschland entschieden ab. „Dieser Gesetzentwurf stellt einen Paradigmenwechsel dar – und eine Pervertierung des SpendeGedankens“, so die Vorsitzende des Bundesverbands, Susanne Kahl-Passoth. Sie betont: „Definitionsgemäße Voraussetzung einer Spende ist Freiwilligkeit. Und eben diese wird durch die Widerspruchslösung abgeschafft, die den Gedanken einer Art ‚Sozialpflichtigkeit‘ des hirntoten menschlichen Körpers beinhaltet.“ „Spende muss Spende bleiben. Niemand hat ein Recht auf die Organe eines anderen Menschen!“ bekräftigt die stellvertretenden EFiD-Vorsitzende und Vorsitzende der Konferenz für Diakonie und Entwicklung, Angelika Weigt-Blätgen. „Menschen haben das Recht auf umfassende Information und darauf, selbst zu entscheiden. Und sie haben das Recht auf Zweifel und Nicht-Entscheidung – dieses wird ihnen durch die Widerspruchslösung genommen.“ so Weigt-Blätgen weiter. Die Evangelischen Frauen in Deutschland fordern seit Jahren umfassende Informationen zum Thema Organspende und haben einen „Anderen Organspendeausweis“ konzipiert, der nuancierte Entscheidungsmöglichkeiten bietet (http://organspende-entscheide-ich.de).   
 
 Weitere Informationen zum Thema "Organspende": Studie des Sozialwissenschaftlichen Instituts der EKD unter https://images.kajomigenerator.de/upload/c050196b-a8b7-4399-9f0b-670b37d41bde-orginal.pdf


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